Heiligenhaus. Vor 77 Jahren endete der Krieg in Heiligenhaus – deswegen hat Rainer Köster zusammen mit dem VVN bewusst am 16. April Stolpersteine gereinigt.
„Um den Stolperstein zu reinigen, habe ich den Rat eines städtischen Bediensteten befolgt und eine Mischung aus Salz und Zitrone hergestellt“, verrät Rainer Köster. „Für alle Fälle habe ich noch Handwaschpaste nach alter, bergischer Arbeiterart dabei“, so der Historiker, der mit der Säuberungsaktion zusammen mit der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ an einen Heiligenhauser Arbeiter erinnert, der im Dritten Reich denunziert wurde.
Franz Frerich, der unweit des Heiligenhauser Rathauses wohnte, war von Beruf Schlosser und wie viele Arbeiter vor 1933 Kommunist. Er war im größten Heiligenhauser Betrieb tätig, wo er nach dem Rücktritt des italienischen Diktators Benito Mussolini 1943 gesagt haben soll: „Der eine ist weg, den anderen kriegen wir noch. Das tausendjährige Reich geht kaputt.“
Zeugen konnten sich nicht mehr erinnern
Vom Volksgerichtshof wurde der Heiligenhauser wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt. Die Vollstreckung erfolgte am 4. August 1944 durch das Fallbeil. „Das war Ausdruck äußerster Verachtung“, berichtet der Geschichtskenner Rainer Köster, der herausgefunden hat, dass sich bei entsprechenden Witzen über das Regime die vorgeladenen Zeugen angeblich nicht erinnern konnten oder nichts gehört hätten: „So wurden viele Leute vor Schlimmeren bewahrt.“
Rainer Köster stellt fest, dass gegen den aufkommenden Nationalsozialismus die Opposition sich nicht einig war. „Zuerst wurden die Kommunisten verfolgt, später die Mitglieder anderer Parteien, so der SPD-Ratsherr Ludwig Meyburg oder die Zentrumspolitiker August Overhamm und Johann Schell.“
Blumen niedergelegt
Nach der erfolgreichen Reinigung des Stolpersteins durch seine selbst hergestellte Mischung legte der Mahner der Gewaltherrschaft um die Messingplatte einige Blumen, „auch wenn die erfahrungsgemäß nicht lange liegen bleiben.“
Ebenso umkränzte er mit Tulpen den Stolperstein von Adele Jacobs an der Ecke Hefelmanngasse/Eingang Rathaus-Center. „Sie wurde nicht nur als Jüdin verfolgt, sondern soll angeblich psychisch krank gewesen sein und wurde in der ,Heilanstalt’ Grafenberg ermordet. Bei den Judenpogromen ist es immer auch um Besitz und Raub gegangen. Hier war der Ortsgruppenleiter bestrebt, dass Haus in Besitz zu bekommen.“
Kriegsende in Heiligenhaus
Die VVN hat sich für ihre Aktion bewusst den 16. April ausgesucht, denn einen Tag später wurde der Naziterror in Heiligenhaus durch den Einmarsch amerikanischer Truppen beendet. „Durch den mutigen Einsatz des späteren Velberter Bürgermeisters de Vischer wurde der Volkssturm aufgelöst und der Ort kampflos übergeben. Anders als zum Beispiel in Neviges, wo bis zum letzten Blutstropfen gekämpft wurde, was noch Luftangriffe auslöste. Bevor hier in Deutschland die erste Bombe niederging, fielen deutschen Bomben auf Warschau, London und Coventry“, erinnerte Köster an die Geschichte des Zweiten Weltkrieges.
Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion
Er verurteilt zudem eindeutig den aktuellen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. „Es verstört mich aber zutiefst die Erinnerung, dass damals auch hier vor Ort Zwangsarbeiter aus der ehemaligen Sowjetunion als so genannte ,slawische Untermenschen’ gnadenlos ausgebeutet und miserabel behandelt wurden, egal, ob sie aus Russland oder der Ukraine stammten. 15 von ihnen, darunter zwölf Frauen kamen ums Leben. Auf dem katholischen Friedhof erinnert an Denkmal an sie.“
Weitere Stolpersteine
Schon vor 40 Jahren recherchierte Rainer Köster das Schicksal von Franz Frerich in den Akten. Zu den Mitinitiatoren zur Verlegung des Stolpersteins gehörte Dr. Paul-Jürgen Stein vom Kirchenkreis.
Insgesamt gibt es acht Stolpersteine in Heiligenhaus, im Juni kommen drei weitere hinzu.