Heiligenhaus. Depressionen, soziale Konflikte, Lernrückstände, Ängste: Heljenser Sozialarbeiter berichten über zunehmende Problemfälle und mehr Rückmeldungen.

Die Schule bleibt heute geschlossen: Auf diese Meldung gehofft hat jedes Schulkind sicher einmal. Dass sich Kinder jedoch wünschen, dass die Schule endlich wieder öffnet, war im Vorfeld der Pandemie kein Thema. Doch welche Auswirkungen die mehrfachen Lockdowns tatsächlich auf die Kinder und Jugendlichen auch in Heiligenhaus haben, bekommen Jugendsozialarbeiter immer mehr zu spüren.

Manche Heiligenhauser Kinder und Jugendliche hat die Pandemiemaßnahmen psychisch stark mitgenommen.
Manche Heiligenhauser Kinder und Jugendliche hat die Pandemiemaßnahmen psychisch stark mitgenommen. © Getty Images | energyy

Depressionen, soziale Konflikte, Lernrückstände, Ängste: Die Maßnahmen, die in der Pandemie ergriffen wurden, nicht die Pandemie selber, habe Spuren bei vielen Kindern hinterlassen, weiß Christoph Meschede, Leiter des Spielhauses, zu berichten: „Im Mai 2020 mussten wir auf einmal alles schließen, von da an war da eine große Unsicherheit bei den Jugendlichen: Man darf draußen rum laufen, aber auch nicht mit allen. Das war keine einfache Zeit.“

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Strukturelle Probleme bei Kindern und Jugendlichen in Heiligenhaus zugenommen

Mit Onlinekursen habe man versucht, die Zeit zu überbrücken, bis wieder erste echte Kontakte möglich gewesen seien, berichtet Meschede: „Es hat sich aber schnell gezeigt, dass gerade bei Kindern, die bereits strukturelle Probleme hatten, die sich das noch mal verstärkt haben.“ Das bestätigen auch seine Kollegin Lisa Ammer, Jugendamtsleiter Thomas Kaminski, Jugendamtsmitarbeiterin Katinka Schneider sowie Manuel Gärtner vom Netzwerk Heiligenhaus.

Hinter dem Homeschooling verstecken konnten sich genau die Kinder, die eh schon strukturelle Probleme hatten.
Hinter dem Homeschooling verstecken konnten sich genau die Kinder, die eh schon strukturelle Probleme hatten. © Getty Images | damircudic

Festmachen könne man dies an verschiedenen Stellen, führt Meschede weiter aus: „Den einen fehlte es an dem nötigen Equipment, und man muss wirklich sagen, es hing wirklich von jedem einzelnen Lehrer ab, wie weit diese motiviert waren.“ Manche Kinder, berichten auch Schneider und Gärtner, hätten die Situation ausgenutzt – und sich eben versteckt, hinter der anonymen Laptopscheibe, sich aus dem Unterricht zurückgezogen. „Sie haben dann andere Medien konsumiert, was nicht förderlich für die Konzentration und soziale Entwicklung war“, weiß Schneider.

Erste Jahr wieder in Präsenz offenbart vielfache Probleme

Vor allem an der Förder- und an den Grundschulen würden nun vermehrt Probleme aufkommen, Rückmeldungen gebe es jedoch von fast allen Schulen – „vor allem war es schwierig für die Kinder, die ihr erstes Schuljahr fast im Lockdown verbracht haben. In diesem Jahr, in dem sie nun Präsenzunterricht haben, fällt es einigen schwer“, weiß Schneider zu berichten.

Oftmals sei es dann im Lockdown eben auf das Engagement der Schule und Lehrer angekommen, nicht vergessen dürfe man aber auch die Eltern. Konfliktpotenzial gebe es da an verschiedenen Stellen, „sei es, dass nicht alle Familien über eine ausreichende materielle Ausstattung verfügt haben, auch kommt das Bildungsniveau hinzu. Und klar, wenn man über einen langen Zeitraum auf manchmal engem Raum zusammen hockt, dann kommt es auch zu Konflikten zwischeneinander“, berichtet Gärtner.

„Zarte Pflanzen sind hier kaputt gegangen“

Auffällig seien hier wieder, leider, Kinder aus gewissen Kreisen zu nennen, ergänzt Meschede: „Mit ihnen und vor allem ihren Eltern zu arbeiten ist schon schwierig, da konnten wir das ein oder andere aufbauen. Doch die haben sich im Lockdown wieder komplett zurückgezogen. Zarte Pflanzen sind hier kaputt gegangen.“ Schule habe bei diesem speziellen Personenkreis keinen hohen Stellenwert, jetzt wieder Kontinuität reinzubringen sei kompliziert. Hoffnung mache ein Südost-Projekt des Netzwerks Heiligenhaus, das im Nonnenbruch verortet ist. „Hier machen wir echte Streetworkerarbeit und kommen direkt mit den Menschen ins Gespräch. Die nutzen unsere Angebote auch stark“, weiß Gärtner.

Austoben sollen sich Kinder und Jugendliche beim Waldprojekt am Umweltbildungszentrum (hier ein Archivbild vom Sommercamp).
Austoben sollen sich Kinder und Jugendliche beim Waldprojekt am Umweltbildungszentrum (hier ein Archivbild vom Sommercamp). © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Doch nun heiße es, sich erstmal um die Kinder und Jugendlichen intensiv zu bemühen. Der Umgang mit Gleichaltrigen sei wichtig, weshalb ein erneuter Lockdown von allen nicht gewünscht wird: „Wir hatten in der Spitze 80 Prozent in der Notbetreuung“, berichtet Manuel Gärtner aus der Ogata-Arbeit in der Unterilp an der Regenbogenschule. Er bedauert es, dass im Lockdown viel auf dem Rücken von Jugendlichen und Kindern ausgetragen worden sei, „auch an der Quarantäne-Regelung ist keine klare Linie zu erkennen. Aus den Gefährdern wurden nun die Gefährdeten, das macht auch was in den Köpfen der Kleinen.“ Das Verständnis, ergänzt Meschede, an den ständigen Regeländerungen nehme bei den Jugendlichen auch immer mehr ab.

Einige Projekte sollen Kinder und Jugendliche nun stärken

Das Nachbeben der Pandemie ist also da – und was nun? „Wir haben einige Projekte an den Start gebracht: Das Netzwerk Heiligenhaus bietet weitere Ogata-Plätze im Club an, am Umweltbildungszentrum ist ein Waldprojekt gestartet, das wollen wir auch weiter ausbauen – und natürlich gibt es unsere Stadtteilsozialarbeit“, erklärt Thomas Kaminski. Und Katinka Schneider appelliert „Es gibt immer noch eine Hemmschwelle, sich ans Jugendamt zu wenden, weil viele denken, dass man die Kinder sofort wegnimmt. Doch das ist nicht der Fall, wir arbeiten präventiv.“ Leute sollten das Amt also nicht als letzten Ausweg nutzen, sondern schon als Beratung, „wir haben ein großes Netzwerk.“

Die Pandemie ist noch da, die Probleme werden größer, die Angebote erweitert: Ein Schwimmbegleiter zum Beispiel unterstützt nun die Schulen, es gibt eine Hunde-AG, Gutscheine für Freizeit und Bewegung und vieles mehr – langweilig wird es für die Jugend- und Sozialarbeit in Heiligenhaus sicher nicht in den nächsten Jahren.