Heiligenhaus. Jessica Malisch und Marco Schild sitzen für die AfD im Heiligenhauser Rat und sprechen über ihre Partei, ihre Ziele und die ersten Erfahrungen.

Nicht jeder hat zur Politik eine Meinung – wenn es um die AfD geht, scheint dies jedoch anders zu sein. Die Alternative für Deutschland polarisiert seit ihrer Gründung. Nun ist es der Partei bei der Kommunalwahl gelungen, mit 492 genug Stimmen (und somit 4,75 Prozent) in den Stadtrat einzuziehen. WAZ-Redakteurin Katrin Schmidt sprach mit Fraktionschef Marco Schild und Stellvertreterin Jessica Malisch über die Ziele ihrer Fraktion in Heiligenhaus – und natürlich auch zu ihrer Einstellung zu den Hardlinern ihrer Partei.

Herr Schild, Frau Malisch, Sie sind auf der politischen Bühne ja ganz neu in Heiligenhaus. Könnten Sie sich einmal kurz vorstellen?

Marco Schild: Ich bin gebürtiger Heiligenhauser, 26 Jahre alt und angehender Sozialarbeiter. Meine Mutter ist Italienerin und ich selbst habe auch im Alter von 13 bis 16 in Italien gelebt. Ich war Schülersprecher an der Realschule, bin dort in Kontakt zur Jungen Union gekommen und dort auch Mitglied geworden. Da habe ich dann die Politik kennengelernt, reiste auch nach Berlin zu Peter Beyer. Mein erster Kontakt zur Politik war jedoch schon sehr früh, da war ich neun Jahre alt und wir waren nicht zufrieden mit der Situation der Bolzplätze. Es kam zu einem zufälligen Kontakt mit Jan Heinisch, damals Bürgermeisterkandidat, er hat mich dann ins Rathaus gebeten, ich sollte mal erzählen, was uns stört und was wir uns wünschen. Das habe ich gemacht, und dadurch habe ich vielleicht auch schon früh gemerkt, dass man selber etwas bewirken kann, wenn man sich engagiert. Vielleicht hat auch er mich dazu bewegt.

Jessica Malisch lebt seit 2017 in Heiligenhaus.
Jessica Malisch lebt seit 2017 in Heiligenhaus. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Jessica Malisch: Ich bin ein Ruhrpottkind, geboren in Recklinghausen und aufgewachsen in Gelsenkirchen-Beckhausen. Ich werde demnächst 38 Jahre alt, bin seit 2013 politisch aktiv. Die AfD war meine erste Partei. Ich bin Chemielaborantin und Kauffrau für Logistikdienstleistungen, arbeite derzeit jedoch für einen unserer Bundestagsabgeordneten. Nach Heiligenhaus kam ich Ende 2017, ich fand es hier sehr schön und super zentral gelegen, da ich beruflich eben zwischen Homeoffice, Düsseldorf, Köln und Berlin pendle.

Wie kam es dazu, dass Sie sich politisch engagieren wollten – und wie kam es zu Ihrem Beitritt zur AfD?

Schild: Ich finde, entweder man ist politisch interessiert oder nicht. Bei mir wurde es verstärkt in meiner Jugend in Italien. Dort ist alles viel politischer, da wurden von Schülern und Studenten viele Streiks organisiert. Da gibt es dann Bewegungen von rechts und links, und man entwickelt seine eigene Meinung. Zurück in Deutschland wurde ich dann eben Schülersprecher und Mitglieder der JU. Hier habe ich aber gemerkt, dass ich mich in der CDU nicht richtig beheimatet fühle, da wäre eher noch die Nähe zur SPD da. Die JU war mir außerdem zu unrebellisch. Ich bin sehr sozialpolitisch aufgestellt und tendiere eher zur linkeren Ecke. Grund für mein Engagement war die Grenzöffnung 2015. Da war die AfD für mich die richtige Partei. Die AfD ist ein Sammelbecken grundunterschiedlicher Strömungen. Ich bin selber quasi ein Einwandererkind, ich bin auch nicht generell gegen Einwanderung und das Recht auf Asyl muss weiter bestehen. Aber ich habe am eigenen Leib gespürt, wie überfordert die Politik und Gesellschaft war. Einwanderung muss geregelt ablaufen, und das auf europäischer Ebene.

Malisch: Ich habe mich immer wieder politisch engagiert, ohne einer Partei anzugehören. Ich würde mich als sehr Wirtschaftsliberal bezeichnen, oder wie manche sagen würden, kapitalistisch. Da sind Herr Schild und ich auch Beispiele dafür, wie weit man in manchen Themen inhaltlich entfernt sein kann voneinander in unserer Partei. Ich bin schon von Anfang an dabei und habe schon vieles erlebt. In Gelsenkirchen war ich auch sachkundige Bürgerin der AfD.

Die AfD polarisiert vor allem wegen der lauten Mitglieder, die extremistische Äußerungen von sich geben. Wie stehen Sie dazu?

Malisch: In unserer Partei sind über 30.000 Mitglieder – und darunter gibt es, man muss es so sagen, auch einige Spinner – wie aber auch in jeder anderen Partei. Am Anfang wurden wir schlichtweg überrannt von den vielen Interessenten. Viele verstehen auch nicht, wie das Rädchensystem Politik funktioniert. Wir haben daraus gelernt, mittlerweile gibt es strenge Aufnahmerichtlinien, um eben keine Reichsbürger oder Extremisten bei uns zuzulassen. Aber wer einmal in einer Partei ist, der ist auch schwer, wieder loszuwerden. Das wissen auch die anderen Parteien, Ausschlussverfahren können sich über Jahre hinziehen und dann trotzdem nicht erfolgreich sein.

Schild: Ich bin selber aus der Jungen Alternativen ausgetreten, weil sie mir zu radikal war. Es gab auch Diskussionen, die ich beschämend finde. Doch da ist es an uns und unsere Pflicht, sich zu positionieren und zu verhindern, dass das Nationalistische breite Zustimmung erhält. Wir vertreten eigentlich die gemäßigte Mitte. Unser größtes Problem ist aber einfach die öffentliche Wahrnehmung. Ich sage ganz klar: Ich bin ein Patriot, aber kein Nationalist.

Malisch: Da stimme ich total zu.

Das heißt, Sie distanzieren sich beide zu den Hardlinern und Vertretern extremistischer Positionen in Ihrer Partei?

Malisch und Schild: Ja, absolut.

Nun lassen Sie uns mal konkret über Heiligenhaus reden. Sie sind nun ganz frisch dabei. Wie verlief ihr Start?

Marco Schild ist in Heiligenhaus aufgewachsen, verbrachte aber auch ein paar Jahre in Italien – aus dem Land stammt seine Mutter.
Marco Schild ist in Heiligenhaus aufgewachsen, verbrachte aber auch ein paar Jahre in Italien – aus dem Land stammt seine Mutter. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Schild: Wir sind super herzlich aufgenommen worden – das hat uns schon ein wenig überrascht. Es gab weder Berührungsängste noch Vorbehalte, wir hatten das Gefühl, man will uns als Menschen kennenlernen. Es gab mittlerweile auch mit allen Fraktionen gute Gespräche, nur noch nicht mit den Grünen, aber von uns aus sind wir auch da gesprächsbereit. Es war wirklich alles sehr angenehm und freundlich, auch der Kämmerer stand uns schon bezüglich des Haushalts Rede und Antwort, übrigens gemeinsam mit dem Linken-Vertreter Döbbeler. Also wir sind wirklich offen.

Malisch: Wir wurden wirklich sehr freundlich behandelt, für uns ist ja noch vieles neu, wie auch der Haushalt. Wir wissen noch nicht, ob wir eigene Anträge einbringen werden, haben da Ideen, müssen aber schauen, ob sie umsetzbar sind.

Wie haben denn die Heiligenhauser im Wahlkampf auf Sie reagiert?

Schild: Das war nicht immer ganz einfach, aber man kann zusammenfassen: Entweder man mag uns, oder man sagt uns, wir würden euch wählen, wenn ihr nicht diese extremistischen Menschen an Bord hättet auf Bundesebene, oder manche Menschen beschimpfen uns mit hochrotem Kopf.

Malisch: Es ist schade, dass man uns als Menschen dann keine Chance gibt, zu erklären, warum man der AfD angehört. Das würde ich mir wünschen. Aber es war dennoch hier nett, ganz anders als in manchen Städten, in denen man bespuckt wird. Es wurden auch kaum Plakate von uns zerstört. Ich würde mir aber wünschen für die Zukunft, dass die Bürger keine Angst vor uns haben und den Kontakt auch zu uns suchen. Dann können sie sich selber ein Bild machen.

Schild: Was mir persönlich aufgefallen ist, als ich einmal Wahlkampf in Essen gemacht habe: Im Norden hatten wir viel Zuspruch, im Süden, wo alle keine Flüchtlingsunterkunft vor der eigenen Haustür haben wollen, wurden wir beschimpft. Wir haben selber viele Menschen mit Migrationshintergrund bei uns an Bord und haben auch viele Ausländer an unseren Infoständen, die gut finden, was wir machen, beschimpft werden wir dann eher von dem klassischen weißen Wohlstandsmann. In Deutschland ist vieles Hui oder Pfui, vieles sagt man nicht, weil es sich nicht gehört, aber was man eigentlich denkt. Wir tun es. Es gibt viel Politikverdrossenheit, aber keine Diskussionskultur. Und das ist schade.

Was konkret wollen Sie denn politisch in Heiligenhaus angehen?

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Schild: Wir hatten vier Schwerpunkte im Kommunalwahlkampf: Sicherheit, Wirtschaftsstandort, Landwirtschaft und Umweltschutz sowie die A44. Die muss zügig fertig werden, um unseren Wirtschaftsstandort zu verbessern. Dann sollte auch über besseren Schienenverkehr nachgedacht werden, auf der Strecke der Kalkbahn. Wir wollen den Panoramaradweg ja erhalten. Erfolgreich einbringen konnten wir ja bereits den Arbeitskreis zur Vandalismusprävention, der von allen Fraktionen beschlossen wurde.

Malisch: Wir müssen in Heiligenhaus das riesige Potenzial nutzen und unsere Wirtschaftsattraktivität steigern. Beim Innovationspark müssten auch kleinere Flächen vermietet werden können, um Start-Ups zu locken, die sich später immer noch vergrößern können. Vielleicht sollte man auch temporär die Gewerbesteuer senken, um die durch Corona gebeutelten Unternehmen zu entlasten. Lieber nehme ich als Stadt dann doch weniger ein, als hinterher gar keine Einnahmen mehr zu haben, weil es das Unternehmen schlichtweg einfach nicht mehr gibt. Außerdem sollte künftig bei der Planung neuer Grundstücke auch Landwirte mit einbezogen werden. Denn wir können nicht immer mehr Ackerflächen wegnehmen und sollten auch regionale Produkte stärken. Konkret wollen wir demnächst einen Antrag einbringen zur Grünbepflanzung der A44-Lärmschutzwände. Die würden dadurch nicht nur aufgehübscht, sondern könnten auch Insekten eine Heimat bieten. Da müsste man dann als Stadt mit Straßen NRW verhandeln, wer welche Kosten übernehmen würde.

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Wie stehen Sie zum Thema Integration in Heiligenhaus?

Schild: Die Integration ist gescheitert, deswegen sagen wir ja, dass die Entwicklung entzerrt werden muss. Deswegen würde ich im Nachhinein sogar den Antrag der CDU auf Zweizügigkeit der Clarenbach-Schule rassistische Züge unterstellen, denn man sagt da quasi: Integration ja, aber bitte nicht bei uns. Dabei ist eine Vermischung total wichtig, integrativ und inklusiv. Interaktionen und Begegnungen müssen gefördert werden, und das auf beiden Seiten. Ich muss mich an das Land anpassen, in das ich einwandere – aber viele haben das Gefühl, nicht abgeholt zu werden. Und dann kapseln sie sich ein in alt bekanntes und es führt dazu, dass es in Stadtteilen zu Ghettoisierungen kommt. Was wir also in der Integration erreichen müssen, ist ein identifikationsstiftender Bezug zur neuen Heimat Deutschland. Mit all seinem christlichen Wertefundament.

War es aus Ihrer Sicht dann schlau von der neuen Tagesschau-Sprecherin, das Publikum in türkisch zu begrüßen?

Schild: Nein, absolut nicht, weil es ja genau das Gegenteil ausdrückt. Wenn ich nach Abu Dhabi auswandere, erwarte ich doch auch nicht, dass man dort dann Deutsch spricht. Wir müssen die Leute viel mehr integrieren, auch die Bildung eines Integrationsrates halte ich für sehr wichtig. Aber wir müssen auch aus den Fehlern der Vergangenheit lernen.