Hattingen.

Nach einem Arbeitsleben als Philosophie-Professorin vermietet „Mama Anne“ jetzt Fächer für Selbstgemachtes.

Als Existenzgründerin ist sie ein Paradiesvogel. Ebenso bunt sieht auch der Laden von „Mama Anne“ am Kirchplatz aus. Ihre berufliche und finanzielle Existenz ist unter Dach und Fach(werk). Schließlich hat Anne Gethmann-Siefert mit 66 ein Arbeitsleben als Philosophie-Professorin, die Bücher über Kunst geschrieben hat, hinter sich.

Jetzt gibt sie Kunst und Kunsthandwerk Raum zur individuellen Entfaltung. Und denjenigen, die es herstellen, die Möglichkeit, als Mieter eines Faches Kissen, Puppen, Handarbeiten, Schmuck oder Taschen zu verkaufen. Ohne großes Risiko.

Bekannte schauten komisch, als sie sich in ihrem Alter noch selbstständig machte. Womit genau, wird nicht auf Anhieb klar beim Blick durchs Schaufenster. Gute-Laune-Figuren versprühen Lebensfreude, Bilder lassen den Eindruck einer Galerie entstehen, Hattinger und andere Künstler bieten Werke an. Dazwischen Schals und handgestrickte Pullover.

Die ehemalige Philosophie-Professorin an der Fernuni Hagen hat als Ausgleich zur Kopfarbeit schon immer gern mit den Händen gearbeitet. „Jetzt mache ich öffentlich, was ich früher heimlich getan habe“, sagt sie. Mit eigenen und den Kindern der Schwester hat sie genäht und gebastelt. Damit kein Kind sich bei wechselseitiger Betreuung benachteiligt fühlte, nannten alle sie „Mama Anne“. Die wagte sich in einem Alter an die Existenzgründung, in dem andere die Füße aufs Sofa legen. Mut zur Marktlücke hat sie bewiesen. Reich werden will sie nicht mit dem Ge-schäft, sondern glücklich und zufrieden mit Dingen, die ihr Spaß machen. „Hätte ich Millionär werden wollen, hätte ich etwas anderes gemacht“, sagt Gethmann-Siefert.

Einzelstücke zu fairen Preisen

Damit sie weiterhin Unikate zu fairen Preisen verkaufen kann, hat sie gerade die Hälfte des Ladens aufgegeben und sortiert nun das Angebot neu auf rund 30 Quadratmetern. Über 900 Euro Miete waren nicht hereinzuholen. Auch nicht mit dem Fächerladen. Eines bringt zwar 25 Euro im Monat. 14 sind belegt von Frauen, die selbst etwas herstellen. Aber nicht langfristig. Nach einem Monat können die Fächerfrauen kündigen. Was deren Risiko in Grenzen hält. Sie länger zu binden, empfände die 66-Jährige aber als unfair.

Belegt sind die Fächer mit Strickwaren, Kinderkleidung, Filzhüten, Stoffen, Schmuck oder Knöpfen aus Fimo. Die Nutzer sind Anne Gethmann-Siefert „zugelaufen“. Wie Christel Döpper aus Essen-Steele, die mit ihren Handarbeiten auf Märkten oder Kirchenbasaren vertreten ist. Auf einem Ausflug hat die 60-Jährige ihr Herz für Hattingen entdeckt. Durch Zufall. Und ist inzwischen Fachfrau für handgemachte Kinderfilzjacken bei „Mama Anne“. Diese vermietet auch „eine ganze Wand ums Eck“ an Künstler. Doch manche tun sich schwer mit dem Angebot, glauben, ihre Werke kämen nicht zur Geltung inmitten der Vielfalt. Dass die spinnen, würde die Philosophin nie behaupten. Auch wenn sie eine andere Einstellung zur Kunst hat, die ihrer Ansicht nach gut mitten hinein passt. Spinnen tun sie und andere selbst. Überzeugt, man kann in jedem Alter etwas dazulernen, statt die Hände in den Schoß zu legen, hat sie es gelernt. Von einer Fachfrau.