Hattingen/Sprockhövel. Mehr als 100 Landwirte sorgen mit Traktoren in Hattingen und Sprockhövel für Verkehrsbehinderungen. Politische Ausreden lassen sie nicht gelten.
„Ohne Landwirtschaft wärst du hungrig, nackt und nüchtern.“ „Zu viel ist zu viel!“ „Agrardiesel streichen, nicht mit uns!“ „Politik mit Weitblick - Fehlanzeige.“ Mit diesen Botschaften machten sich 60 Trecker von Holthausen aus auf den Weg zur Demonstration der Landwirte in Schwelm. Auf dem Weg wuchs ihre Zahl schnell auf mehr als 100 an - gut 300 waren es am Ende vor dem Kreishaus. Aber nicht alle Verkehrsbehinderungen, die die Bauern verursachten, waren einkalkuliert.
Blockade an der Autobahn A43
Der Konvoi schlängelte sich am Morgen ab kurz nach 9 Uhr durch Hattingen und Sprockhövel - unter anderem über die größte Kreuzung des Kreises, die Reschop-Kreuzung. „Trecker können langsam fahren“, erklärte Dirk Kalthaus, Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Ennepe-Ruhr/ Hagen süffisant. Um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen, hatte die Landwirte ein Ausbremsen des Verkehrs durchaus auf der Rechnung.
Dass am Morgen unter anderem die Autobahnauffahrten auf die A43 in Sprockhövel blockiert waren, davon distanzierten sich die Organisatoren des Protests aber. „Damit haben wir nichts zu tun. Wir haben hier eine Demo angemeldet und wollen, dass es in geordneten Bahnen läuft. Gegen Einzelne kann man nichts machen“, betont Peter Oberdellmann, stellvertretender Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Ennepe-Ruhr/ Hagen. Er hatte den Trecker-Lindwurm aus Richtung Hattingen angeführt.
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Vor dem Kreishaus in Schwelm distanziert sich Dirk Kalthaus dann auch von der Attacke auf Wirtschaftsminister Robert Habeck. Er betont: „Wir sind keine Umsturz-Fantasten. Wenn es eine neue Regierung geben soll, wird darüber in der Wahlkabine entschieden. Nirgendwo sonst.“
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Die Landwirte - 339 zählt die Landesstatistik für den Ennepe-Ruhr-Kreis - freuen sich aber über viel Unterstützung aus der Bevölkerung. Viele hochgereckte Daumen hätten sie an der Strecke gesehen. Speditionen, Handwerker, Bäckereien, Krankenschwestern und sogar die Zahnärztliche Vereinigung hätten ihre Solidarität mit dem Protest kundgetan, freut sich Kalthaus. In Richtung des Bundestagsabgeordneten Janosch Dahmen (Grüne), der sich am Kreishaus den Demonstranten stellte, betonte er: Wenn so viele Menschen wie derzeit mit der Politik unzufrieden seien, fordere er, dass die Ampelregierung in Gespräche ginge. „Da muss man doch über seinen Kurs nachdenken. Die Leute können doch nicht alle deppert sein“, entfuhr es ihm.
Missverständnis Agrardiesel
Die geplante Streichung beim Agrardiesel brachte das Fass für die Landwirte zum Überlaufen. Dabei fühlen sie sich in dieser Frage oft missverstanden, wenn von Subventionen die Rede ist. „Wir zahlen die Steuern, wie alle anderen auch“, betont Landwirte-Sprecher Dirk Kalthaus.
Am Ende des Jahres werde Teil davon erstattet - weil Traktoren die Straßen nicht kaputt machten, sondern zu 90 Prozent auf dem Feld fahren. Im Winter seien die Landmaschinen gar nicht unterwegs - „es sei denn, wir sollen Schnee räumen, damit andere durchkommen“, betont Kalthaus. Er argumentiert, wer die Infrastruktur kaum nutzt, könne nicht über die Steuer für ihren Erhalt zur Kasse gebeten werden.
Deshalb wollen die Landwirte in dieser Woche auch noch viele Gespräche mit Politikern führen, ihre Sorgen weitertragen. Außerdem wollen sie am 15. Januar mit Bussen zur Demonstration nach Berlin fahren. Und dabei geht es nicht um den Agrardiesel allein. Der sei nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte in einer Reihe immer neuer Auflagen.
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Landrat Olaf Schade (SPD) lobte das Engagement der Bauern. „Es ist richtig, dass Sie demonstrieren dürfen und wenn Leute dafür heute einen Umweg fahren müssen, ist das in Kauf zu nehmen“, sagte er vor den Demonstranten. Sein Versuch, die Bundesregierung in Schutz zu nehmen, mit Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das sich so niemand gewünscht habe, scheiterte jedoch. Dirk Kalthaus unterstreicht: „Sie müssen gewusst haben, dass der Haushalt verfassungswidrig ist.“ Das Schlusswort vor dem Kreishaus hat der Hattinger Peter Oberdellmann mit seinem Apell: „Machen Sie Politik für die Menschen, die mit ihrer Hände Arbeit das System am Laufen halten.“
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