Hattingen. Kein Geld für Straßensanierung? Eine drastische Erhöhung der Grundsteuer? Das steht für Hattingen im Raum. Jetzt gibt es einen lauten Aufschrei.
Hattingen geht am Stock: Die Finanzlage der Stadt ist trotz des 110-Millionen-Euro-Geschäfts mit dem Ruhrverband im Jahr 2020 angespannt. „Die Belastungen sind mehr als akut“, so Bürgermeister Dirk Glaser. Er selbst hält das Aufschieben von Straßensanierungen für „unzumutbar“ und eine drastische Erhöhung der Grundsteuer für „nicht mehr vermittelbar“.
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Nicht mehr langsam und ganz sicher steht in den kommenden Jahren die (noch funktionierende) Infrastruktur der Kommune auf dem Spiel, wenn sich nichts verändert. Glaser selbst ist als Vertreter der Stadt im „Bündnis für die Würde unserer Städte“ aktiv, trägt seit Jahren die Sorgen nach Düsseldorf und Berlin – und wird offenbar ebenso wenig gehört wie seine Amtskollegen.
Jetzt gibt es aber noch einmal großen Rückhalt aus der Wirtschaft: Die IHK Mittleres Ruhrgebiet, die Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen (AGV) und die Kreishandwerkerschaft Ruhr unterstützen den Hilferuf der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die sich in einem Brandbrief an NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst gewendet haben.
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IHK, Arbeitgeber und Kreishandwerker unterstützen Hattingen und andere Kommunen
Die drei Institutionen rufen Bundes- und Landesregierung auf, den Kommunen schnell finanziell unter die Arme zu greifen. „Der Hilferuf ist beispiellos. Wenn die Städte erneut gezwungen werden, an der Steuerschraube zu drehen, wird das die Attraktivität des Standorts weiter verschlechtern und auch dringend benötigte Neuansiedlungen in weite Ferne rücken lassen“, so Michael Bergmann (IHK-Hauptgeschäftsführer), Dirk W. Erlhöfer (AGV-Hauptgeschäftsführer) und Johannes Motz (Geschäftsführer Kreishandwerkerschaft) unisono. „Wir brauchen jetzt klare Regeln für die Bewältigung der Altschulden und deutlich mehr Unterstützung bei der Flüchtlingsfinanzierung.“
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Dirk Glaser unterstreicht: „Der Landes- und auch der Bundesregierung muss endlich bewusst werden, in welcher finanziellen Notlage die Kommunen stecken. Wir brauchen eine neue Form der Finanzierung, die auskömmlich ist für die vielen Aufgaben, die uns von Bund und Land aufgebürdet werden. Daran führt kein Weg vorbei.“
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Der parteilose Verwaltungschef, der sich selbst gerne als Moderator sieht, wählt inzwischen deutliche Worte, um die Notlage zu beschreiben: „Wenn wir als Städte überleben wollen, wenn wir das tun wollen, was die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten, dann muss sich grundsätzlich etwas verändern bei der Gemeindefinanzierung in unserem Land“, erklärt er auf WAZ-Anfrage. „Es müssen endlich die unzähligen bürokratischen Hürden, die immer schärferen Vorschriften oder Kontrollen, die ausufernden Bedingungen für Förderprojekte eingedampft werden!“
Land will ab Haushaltsjahr 2025 helfen
Die Klage der Kommunen ist bei Ministerpräsident Hendrik Wüst und seiner Landesregierung angekommen. Auf dem Weg zu einer echten Altschuldenlösung mit Landesbeteiligung will Schwarz-Grün nun erst ermitteln, ob die Städte in NRW tatsächlich Liquiditätskredite über 21 Milliarden Euro angehäuft haben. Rückmeldungen aus den Kommunen legten nahe, dass Schulden zum Teil fälschlicherweise so deklariert worden seien.
Die Altschuldenhilfe wird aber nicht, wie zunächst geplant, im Jahr 2024 beginnen, sondern mit dem Haushaltsjahr 2025.
IHK, AGV und Kreishandwerker sehen „die verfassungsrechtlich festgeschriebene kommunale Selbstverwaltung in Gefahr“. Sie wehren sich deshalb dagegen, dass die Gewerbesteuer erhöht werden kann. „Es ist die Pflicht des Landes und des Bundes, für eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen zu sorgen. Das ist nicht die Aufgabe der Unternehmen“, so Dirk W. Erlhöfer.
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Diese hätten ohnehin aufgrund steigender Löhne, weiterhin hoher Energiepreise und Abgaben mit zusätzlichen Herausforderungen zu kämpfen. Ein Beispiel dafür sei die geplante Rückführung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie auf 19 Prozent, so Michael Bergmann. „Ein Sofortprogramm zur Unterstützung der Städte, wie vom Städte- und Gemeindebund gefordert, ist deshalb das Gebot der Stunde.“