Hattingen. Eine schreckliche Situation erlebte eine damals 15-Jährige 2021: Ihr Großonkel wurde übergriffig. Jetzt stand er in Hattingen vor Gericht.

Es war eine schreckliche Situation, die die damals 15-Jährige an einem Oktobertag des Jahres 2021 am Pflegebett ihres Opas erlebte. Der dort neben ihr stehender Großonkel, so Staatsanwalt Björn Kocherscheidt, habe dem Mädchen damals erst an den Po und die Taille gefasst, später auch an den Busen und sogar in den Intimbereich gegriffen – obwohl sie das erkennbar nicht gewollt habe. Sexuelle Nötigung legt die Staatsanwaltschaft dem 65-jährigen Hattinger daher zur Last, vor dem Schöffengericht musste er sich deshalb nun verantworten.

Dort war der Fall bereits im August 2022 „anverhandelt“ worden, gestanden hatte der Angeklagte damals indes nicht. Am Ende wurde ein Gutachten über die Glaubwürdigkeit des Mädchens eingefordert.

Der 65-Jährige aus Hattingen gab seine Tat zunächst nicht zu

Auch dieses Mal gab der 65-Jährige seine Tat zunächst nicht zu, vielmehr fand auf Antrag seines Anwaltes Tim Salewski zunächst ein längeres Rechtsgespräch zwischen den beteiligten Parteien in diesem Gerichtsverfahren statt – unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

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Danach dann die Wende: Über ein Jahr lang habe er die damals 15-Jährige bis zu jenem Tag nicht gesehen, sagte der Hattinger, „ich habe sie in den Arm genommen, gestreichelt, auch am Po.“ Auch habe er gesagt, dass sie groß geworden sei, da habe sie sich umgedreht, wollte gehen. Dann habe er sie an der Taille festgehalten und „einmal am Busen gestreichelt“.

Das Mädchen am Weggehen gehindert – gegen dessen Willen

Warum er das Mädchen denn am Weggehen gehindert habe gegen dessen Willen, fragt der Vorsitzende Richter Christian Amann. „Weil ich gedacht habe, dass sie gleich umfällt, sie hatte ja keine Gehhilfe dabei“, rechtfertigt er sein Verhalten gegenüber der körperbehinderten Jugendlichen. „Sie haben aber schon gemerkt, dass sie raus wollte aus der Situation“, hakt Amann nach. „Ja“, sagt der Angeklagte.

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Auf weitere Nachfragen hin gibt der 65-Jährige dann immer mehr Details – so, wie sie in der Anklage stehen – zu. Dass er zur Großnichte gesagt habe, sie habe große Büste, ihr zwischen die Beine gefasst, auch ihre Vagina von außen gestreichelt habe.

„Ich bereue das zutiefst“, sagt der Angeklagte

Was ihn dazu angetrieben habe, will Amann wissen. „Ich glaube, das weiß er selber nicht“, sagt Verteidiger Tim Salewski. Sein Mandant habe die Tat bislang auch nicht eingestanden, „weil er sich so geschämt hat dafür“. Und der 65-Jährige selbst sagt: „Ich bereue das zutiefst.“

Verschärfung des Paragrafen 177 des Strafgesetzbuches

Im Juli 2016 hatte der Bundestag eine Verschärfung des Paragrafen 177 des Strafgesetzbuches (StGB) beschlossen, nach der eine Tat auch dann als sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung bestraft wird, wenn sich der Täter über den „erkennbaren Willen“ des Opfers – zum Beispiel durch ein klares „Nein“ bekundet – hinweggesetzt hat. Die Reform beruht auf dem sogenannten „Nein-heißt-Nein“-Modell. Nicht mehr die sexuelle Nötigung ist der Grundtatbestand, sondern das neuartige Delikt Sexueller Übergriff in den Absätzen 1 und 2 des § 177 StGB. Die Änderungen traten am 10. November 2016 in Kraft.

Zuvor wurden Fälle nur geahndet, wenn der Täter das Opfer mit Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu sexuellen Handlungen genötigt hat, oder eine Situation ausgenutzt hat in der ihm das Opfer schutzlos ausgeliefert war.

Weiterhin wurde ein neuer Tatbestand der sexuellen Belästigung geschaffen (§ 184i StGB).

3000 Euro Schmerzensgeld an die Großnichte zu zahlen, bietet er durch seinen Anwalt an – und eine Entschuldigung bei ihr. Letztere indes lehne seine Tochter ab, sagt der als Zeuge geladene Vater des Opfers. Seine Tochter breche noch heute „in sich zusammen, wenn das Gespräch auf die Sache kommt“, sagt er. Sie versuche, diesen Vorfall „komplett auszublenden“.

Und die Mutter sagt: Ihrer Tochter stelle sich „immer wieder die Frage, warum Familie einem so etwas antun kann“. Dieser Vorfall habe „ganz viel Vertrauen in Familie zerrüttet“, sie habe auch Alpträume gehabt. Eine psychologische Behandlung haben sie zur Aufarbeitung für ihre Tochter gesucht, so die Eltern.

Die Gutachterin, die das Glaubwürdigkeitsgutachten über das Mädchen erstellt hat, konstatiert dieser aber zumindest eine hohe Resilienz, so dass sie den „Vorfall“ vielleicht auch ohne derartige Hilfe verarbeiten könne.

Eine 16-monatige Haftstrafe mit dreijähriger Bewährung fordert Staatsanwalt Kocherscheidt zum Abschluss der Beweisaufnahme für den Angeklagten, zwei Monate mehr sogar der Anwalt des Opfers als Nebenklägerin. Ein minderschwerer Fall, wie es Verteidiger Tim Salewski in seinem Plädoyer erklärt, sei dieser Übergriff gegen die Großnichte nämlich nicht, erklären beide. Allerdings wohl, so Staatsanwalt Kocherscheid, ein „einmaliger Ausrutscher“ des 65-Jährigen.

Das Schöffengericht verurteilt ihn zu einer 14-monatigen Haftstrafe mit zweijähriger Bewährung wegen sexueller Nötigung. Zudem muss der Hattinger 3000 Euro an die Geschädigte zahlen.

Die sitzt zu diesem Zeitpunkt auf dem Flur vor dem Gerichtssaal, eine erneute Aussage ist ihr an diesem Tag erspart geblieben.