Hattingen. Auch die in Hattingen lebenden Türken und Syrer sind erschüttert – auch ihre Familien sind vom Erdbeben betroffen. Bewegende Erzählungen.
Die Nachricht erschüttert die ganze Welt. Am frühen Montagmorgen um vier Uhr hat ein schweres Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion etliche Gebäude in Schutt und Asche gelegt, die Zahl der Toten ist auf bislang über 5000 gestiegen. Auch Familienangehörige hier lebender Türken und Syrer sind von der Katastrophe schwer betroffen.
Eine Syrerin (44), die 2016 wegen des Bürgerkrieges in ihrer Heimat mit ihrem Mann und den zwei Kindern nach Hattingen geflohen ist und ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, muss mit den Tränen ringen, als sie von ihrem 70-jährigen Vater erzählt. Der traue sich seit dem Beben nicht mehr zurück in sein Haus im syrischen Ort Dschindires im Nordwesten des Landes. „Sie haben ja gesagt, die Erde kommt wieder“, sagt die Frau. Sie meint: das Erdbeben. Und erzählt, dass das Haus ihrer Familie bereits Risse habe. Trotz eisiger Temperaturen harre ihr Vater daher nun in einem kleinen Transporter aus, zusammen mit ihrem Bruder, dessen Frau, den beiden Kindern, einigen Nachbarn – so viele irgendwie Platz finden in dem Wagen.
Syrerin aus Hattingen erzählt vom Schicksal ihres Vaters, Opfer des Erdbebens
Wobei ihr Vater und all’ die anderen – die Stimme der Syrerin stockt – immer wieder raus gingen aus dem Auto, um zu versuchen, mit bloßen Händen die Trümmer zu beseitigen auf der Suche nach noch Lebenden. „Mehr als die Hände haben sie nicht, uns hilft ja leider keiner“, sagt sie. Und erzählt, dass die Nachbarin sechs Familienangehörige durch das Erdbeben verloren habe und eine Bekannte von ihr auch. „Ich wünschte mir“, sagt sie dann noch, „dass uns Deutschland und die anderen Länder auch helfen würden.“
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Auch eine junge türkische Frau in einem Geschäft in der Hattinger Innenstadt macht die Katastrophe fassungslos. Sie selbst vermisst noch Familienmitglieder, die sie lebend unter den Trümmern in der Türkei hofft. Andere Hattinger Familien haben Freunde oder Familie in den Trümmern unterdessen längst verloren.
Metin Kaya, Vorsitzender der Ditib Türkisch-Islamischen Gemeinde zu Hattingen, sagt: „Die Türkei ist ja ein Erdbebenland und alle werden auch immer aufgeklärt, wie sie sich im Falle einer solchen Katastrophe zu verhalten haben.“ Aber dieses Mal hätten alle zur Zeit des Erdbebens geschlafen.
Metin Kaya hat selbst keine Angehörigen, die er in den Trümmern vermisst oder verloren hat, „aber natürlich schockieren solche Nachrichten“. Einige aus der Gemeinde seien sofort „runtergeflogen, um zu helfen“. Denn, „es zählt nicht jede Stunde, sondern jede Minute. Es sind noch zahllose Menschen in den Trümmern eingeschlossen und natürlich wollen wir so viele Leben retten wie möglich“.
Ditib Türkisch-Islamischen Gemeinde ist für Familienangehörige des Erdbebens da
Für die Betroffenen hat die Gemeinde schon eine Spendenaktion ins Leben gerufen, die direkt den betroffenen Familien zugutekommen. „Und unser Imam hat direkt angeboten, dass wir uns in der Moschee versammeln können und gemeinsam ein Gebet halten, da sind wir natürlich füreinander da.“
Der Vater eines Gemeindemitglieds, so Kaya, habe das Erdbeben zwar überlebt, sei aber nun obdachlos. „Die Moscheen oder Kirchen nehmen die Menschen auf, hier fühlen sie sich sicher“, erklärt er. „Auch Schulen oder Sportplätze“ seien Zufluchtspunkte – so wie die Zelte, die sofort nach dem Unglück in der Türkei aufgebaut wurden. „Die Türkei ist schon gut organisiert“, sagt Kaya. Die Afad, die türkische Katastrophenschutzbehörde, habe schnelle Hilfe geleistet. Probleme bereite den Hilfskräften und Opfern neben den zerstörten Straßen oder auch den Landebahnen am Flughafen vor allem der erneute Wintereinbruch.
Hattinger Integrationsrat bespricht, wie man Erdbebenopfern helfen kann
Yalcin Doğru, stellvertretender Vorsitzender des Hattinger Integrationsrates, sagt: „Es ist eine große Katastrophe, wie viele Städte betroffen sind. Man wird sich erst seines Lebens bewusst, wenn so etwas passiert.“ Aus seiner Familie werde indes niemand vermisst. Eine Katastrophe, so Doğru in Anspielung auf den weiterhin in der Ukraine tobenden Krieg, folge der nächsten. „Immer dann rücken wir als Welt zusammen, das müsste eigentlich ein Dauerzustand sein – nicht nur in solchen Situationen.“
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Gerne möchten die Mitglieder des Integrationsrates gemeinsam beratschlagen, „wie wir mentale oder humane Hilfe leisten können“, so Kaya. „Aber das Beste wären jetzt finanzielle Spenden – an die Afad oder auch das DRK. Denn die kommen auch wirklich an“, bittet Doğru.
Helfen wollen den Erdbeben-Betroffenen unterdessen auch die Mitglieder des Internationalen Frauencafés im Holschentor. An diesem Mittwoch, sagt die Vorsitzende Ingrid Klenke, beratschlage man, wie auch Syrien unterstützt werden könne.