Hattingen. 30 Jahre Frauenhaus im EN-Kreis: 5000 Frauen und Kinder fanden dort Schutz. Warum die Leiterin den Umgang mit Betroffenen skandalös findet.

Das Frauenhaus gibt es seit 30 Jahren. Um die 5000 Frauen und Kinder haben im Frauenhaus des EN-Kreises seit seinem Bestehen eine Zuflucht gefunden. Denn von Beginn an ist die Einrichtung voll belegt. „Das Ausmaß der Gewalt hat sich nicht verringert“, sagt Leiterin Marion Steffens, die seit den Gründungstagen dabei ist. Im Gegenteil: „Die Entwicklungen haben sich zugespitzt, neue Gewaltformen kommen dazu“.

Schon die ersten Frauen, die in das Haus einzogen, bedeuteten für die Mitarbeiterinnen um Marion Steffens einen „massiven Realitätscheck“. „Innerhalb weniger Tage war das Haus zum ersten Mal voll“, erinnert sich die Leiterin des Frauenhauses. Dabei hatten sich alle nicht ausmalen können, mit welcher Gewalt und welchen Traumata sie konfrontiert würden.

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In der Corona-Pandemie sind Frauen durch die soziale Isolation besonders von Gewalt bedroht. Deshalb wurde in Hattingen auf Plakaten für die Hilfe geworben.
In der Corona-Pandemie sind Frauen durch die soziale Isolation besonders von Gewalt bedroht. Deshalb wurde in Hattingen auf Plakaten für die Hilfe geworben. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

„Wir mussten viel lernen“, sagt Steffens. „Auch, wie langanhaltend so ein Trauma sein kann.“ So haben sich die Mitarbeiterinnen unter anderem zu Traumafachberaterinnen fortgebildet. Zugleich haben sie die Arbeit gegen Gewalt an Frauen und Häusliche Gewalt stetig weiter entwickelt, innovative Präventionsansätze etabliert und sind heute als „Gesine Intervention“ bundesweit bekannt und anerkannt.

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Das Ziel ist ein ganzheitlicher Ansatz, in dem alle Problemlagen der Frauen und Kinder erkannt werden, passende Hilfe geleistet und vermittelt werden kann. „Wenn es einer Frau endlich gelingt, Hilfe zu suchen und die Hilfe dann am Bedarf vorbei geht, werden diese Frauen um Jahre zurückgeworfen“, gibt Marion Steffens zu bedenken.

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Umso dramatischer findet sie die Situation, in die Hilfesuchende oftmals geraten. „Es ist skandalös, was Menschen in schwierigen Situationen aufgebürdet wird, um ihre Rechtsansprüche umzusetzen“, betont sie. Deshalb müssen die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen immer mehr Arbeiten übernehmen, die andere Träger nicht mehr leisten – mit fünf Personalstellen. Sie helfen nicht nur bei der ersten Traumabewältigung, sondern auch bei Antragstellungen und bürokratischen Hürden. Sie kümmern sich um den Betrieb, die Verwaltung und die Hausmeisterei des Frauenhauses – rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr.

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25 Plätze für Frauen und ihre Kinder gibt es. „Früher wurden auch mehrere Frauen in einem Zimmer untergebracht. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei“, betont Marion Steffens. So wurden in den ersten zehn bis 15 Jahren der Einrichtung jährlich noch 100 bis 120 Frauen und noch einmal so viele Kinder untergebracht. Nach einem Umbau gibt es weniger Plätze für mehr Privatsphäre. Doch auch seitdem suchen noch bis zu 60 Frauen mit ihren Kindern Zuflucht.

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„Und das ist nur die Spitze des Eisbergs“, betont Marion Steffens. Die Dunkelziffer der Frauen, die unter gewalttätigen Männern litten, sei deutlich höher. „Es braucht eine stärkere Initiative von außen, um gewalttätige Männer an der Gewalt zu hindern“, ist sie sicher. Denn immer noch werden zu viele Gerichtsverfahren eingestellt. Deshalb müsse die Unterstützung früher ansetzen: Wenn Angehörige, Freunde, Bekannte von gewalttätigem und einschüchterndem Verhalten wissen, müsse der Druck auf die Männer erhöht werden.

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Inzwischen muss das Frauenhaus des EN-Kreises dringend erneuert werden. Zudem sei das Haus nicht barrierefrei, bedauert Steffens. Deshalb muss ein neues her. Wo, das steht nicht endgültig fest. „Alle größeren Städte des Kreises sind im Rennen“, weiß die Leiterin. Sie befindet sich in den Verhandlungen um die Finanzierung.