Hattingen. Ein halbes Jahr nach dem Jahrhundert-Hochwasser haben die Flutopfer noch immer mit den Folgen zu kämpfen. Drei Beispiele aus Hattingen.

Jahrhundertflut. Genau ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass die Wassermassen der Ruhr und des Sprockhöveler Bachs vielen Hattingern das Zuhause nahm. Über das Schicksal von drei Betroffenen hat die WAZ öfter berichtet. Jetzt, nach sechs Monaten, stellt sich ihre Situation äußerst unterschiedlich dar.

Herbert Hornung

„Wir haben keine Perspektive. Es scheint sich niemand mehr um uns zu kümmern. Über die Menschen im Ahrtal wird laufend berichtet, aber für die Hattinger, die so schwer getroffen wurden, interessiert sich keiner mehr“, sagt der 77-Jährige, der mit seiner Frau seit Mitte Juli in einer Übergangswohnung an der Denkmalstraße lebt, die das Ehepaar wohl in Kürze verlassen muss. „Aber, wo sollen wir hin?“ fragt der Senior. „Unsere Wohnung an der Schleusenstraße sieht ungefähr so aus, wie nach der Flut, ans Einziehen kann man die nächsten Monate nicht denken.“

Die Schleusenstraße ist beim Jahrhundert-Hochwasser völlig überflutet worden. (Archivbild)
Die Schleusenstraße ist beim Jahrhundert-Hochwasser völlig überflutet worden. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Kim Kanert

Die Wohnung, in der er mit seiner Frau Marica (79) vorübergehend wohnt, vermietet der Eigentümer normalerweise an Handelsreisende oder Monteure, erzählt der Hattinger. Und Verträge für dieses Jahr seien bereits 2021 abgeschlossen worden. „Das bedeutet, dass wir in Kürze hier raus müssen. Die Stadt hat keine Wohnung für uns und in unseren eigenen vier Wänden geht es einfach nicht voran.“ Man habe ihnen im Juli gesagt, es dauere ein halbes Jahr, dann könnten sie wieder einziehen. „Aber die haben gerade mal den Betonboden fertig. Das ist so kein Leben mehr.“

Beide Ehepartner sind gehbehindert, man bekomme an der Denkmalstraße keinen Parkplatz, einen Behindertenplatz weise die Stadt für die beiden nicht aus. Die Habseligkeiten, die gerettet werden konnten, lagern immer noch in zwei Hallen und ein Ende der Misere sei einfach nicht abzusehen. „Wir können nicht mehr.“

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Thomas Wiegemann

„Land unter“ hieß es auch bei Familie Wiegemann, die an der Kratzmühle lebt. In insgesamt drei Häusern wohnen die Tochter mit Ehemann, der Sohn und Thomas Wiegemann mit seiner Frau. Und alle unmittelbar neben dem normalerweise so idyllischen Sprockhöveler Bach, der sich in der Nacht vom 14. auf den 15 Juli 2021 zu einem wilden, reißenden Fluss aufbäumte. „Unsere Häuser sind wieder bewohnbar, die Kinder haben die Wiederaufbauhilfe bekommen, ich noch nicht“, sagt Thomas Wiegemann. Er wohnt schon seit 60 Jahren in dem Tal – auch der Großvater lebte schon dort.

Nach der Sintflut hat Wiegemann die Geschicke selbst in die Hand genommen. „Wenn ich darauf gewartet hätte, bis mir die Versicherung Handwerker zuweist, wäre bis heute nichts geschehen“, sagt er. Daher seien auch von fünf Häusern an der Kratzmühle zwei noch immer nicht bewohnt.

Thomas Wiegemann hat nach dem Hochwasser vieles selbst in die Hand genommen, hier schleppt er einen seiner Oldtimer ab. (Archivbild)
Thomas Wiegemann hat nach dem Hochwasser vieles selbst in die Hand genommen, hier schleppt er einen seiner Oldtimer ab. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

Über die Stadt kann er nur Gutes sagen. Die hätte sich gekümmert und Hilfe beim Ausfüllen der Online-Anträge geleistet. „Es ist ein wahnsinniger Formalismus“, räumt er ein. Es habe ihn aber nicht sonderlich abgeschreckt. „Vermutlich, weil ich auch beruflich mit solchen Sachen zu tun habe.“ In den meisten Fällen bekomme man von den Schäden, die man erlitten habe, nur 80 Prozent ersetzt. Finanzielle Einbußen habe man immer zu verkraften. Völlig ungeklärt ist noch, wie es mit der zerstörten, kleinen Brücke weitergeht. „Die Stadt nimmt sich davon nichts an, weil sie auf unserem privatem Gelände liegt“, sagt Wiegemann.

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Diana Klus

„Wir haben Glück im Unglück gehabt“, erzählt Diana Klus. Fast ihr gesamtes Hab und Gut ging in der Flutnacht an der Brandtstraße unter. Die junge Familie war gerade erst in die Wohnung gezogen, die Küche, viele Möbel und der Fernseher standen noch original verpackt in der Wohnung, als das meterhohe Wasser alles zerstörte. Spontan sammelte die Hattinger Sängervereinigung für die Familie, die zunächst in einer Wohnung von Bekannten unterkam.

Diana Klus hat im Hochwasser ihre gerade erst bezogene Wohnung verloren. Hilfe kam von Burkhard Kneller und seiner Hattinger Sängervereinigung. (Archivbild)
Diana Klus hat im Hochwasser ihre gerade erst bezogene Wohnung verloren. Hilfe kam von Burkhard Kneller und seiner Hattinger Sängervereinigung. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Gero Helm

„Jetzt konnten wir in ein Haus oben auf dem Berg in Welper ziehen, das ganz frisch renoviert worden ist“, sagt die junge Mutter. Leon, der im Februar vier Jahre alt wird und lange Zeit überall erzählte, dass zu Hause alles „kaputt“ sei, ist stolz auf sein neues Kinderzimmer. „Und das Wasser ist jetzt weit genug weg. Nie mehr direkt am Wasser wohnen, das hat für ein Leben gereicht“, sagt Diana Klus und freut sich über das neue Leben der Familie.

Folgen der Flutkatastrophe sind lange nicht ausgestanden

Das Hochwasser im Juli hat in vielen Teilen des Ruhrgebietes heftigste Schäden angerichtet. Auch Hattingen war teilweise extrem stark betroffen. Einsturzgefährdet waren die Häuser nicht, viele sind aber bis heute nicht bewohnbar. Häufig fehlt Betroffenen das Geld für eine Grundsanierung, weil sie auch keine Elementarversicherung abgeschlossen hatten.

Andere, die in direkter Nähe zur Ruhr ihr Zuhause haben, konnten sich gar nicht absichern, weil Schäden durch Hochwasser gar nicht übernommen werden. Wieder andere warten bis heute – trotz bester Versicherung – darauf, endlich Geld in die Hand zu bekommen. Die Langzeitauswirkungen der Flutkatastrophe sind vielfältig und noch lange nicht ausgestanden.

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