Hattingen. Das Jahrhundert-Hochwasser hat die Wohnung der Hornungs aus Hattingen an der Schleusenstraße komplett vernichtet. Ihre Erinnerungen, ihre Pläne.

Wo sein Personalausweis abgeblieben ist? Er weiß er nicht. Und wo liegt der Schmuck seiner Frau Marica? Auch die Antwort bleibt Heribert Hornung schuldig. Was soll er auch sagen? Seitdem die Flutwelle die Wohnung des Ehepaares, Schleusenstraße 6, Mitte Juli komplett vernichtete, in eine Schlammwüste verwandelte, gibt es nichts mehr: keine Ausweise, keine Möbel, keinen Computer, keine Erinnerungsstücke. Nichts.

Es gibt Wohnorte in Deutschland, an denen man um sein Leben fürchten muss

Wenn „Politiker und Experten“ über Hochwasserschutz reden, um den sie sich kümmern, kann der 77-Jährige nur zynisch lachen. „Ich habe nie gedacht, dass es Wohnorte in Deutschland gibt, an denen man um sein Leben fürchten muss“, sagt er. Staat und Stadt müssten doch sicherstellen, dass man in hochwassergefährdeten Gebieten ruhig schlafen kann.

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Dass das so nicht ist, wissen Marica und Heribert Hornung seit der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021. „Da klopft um ein Uhr nachts die Feuerwehr und sagt uns, wir sollen die Spundwände vor den Fenstern anbringen“, erzählt die 79-Jährige den fatalen Ablauf der Nacht, die sich für immer ins Gehirn einbrannte. Denn Hochwasser – dass kennen die beiden, die seit 16 Jahren direkt an der Ruhr wohnen. „In einer Idylle“, schwärmen sie.

Das Wasser steigt und steigt

Um zwei Uhr in der Nacht stehen die unermüdlichen Helfer der Wehr wieder vor der Haustür und fordern die Bewohner auf, den Strom abzustellen. Denn das Wasser steigt und steigt. „Ich hab’ noch versucht, mit einem Akkuschrauber die Küchentür zu fixieren. Aber keine Chance“, sagt der patente 77-Jährige. Eine Stunde später, kurz vor drei Uhr, bittet das Ehepaar die Enkelin in Hattingen, einen Wassersauger zu bringen. Es sieht nur noch die Möglichkeit, die Wassermassen aus eigener Kraft im Zaum zu halten. Denn die Feuerwehr weiß ja längst Bescheid.

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Als sich die junge Frau kurze Zeit später durch die Fluten kämpft und in der Nähe der Wohnung ankommt, sitzen die Hornungs schon im rettenden Feuerwehrfahrzeug. „Die haben um drei Uhr wieder geklingelt und gesagt, dass wir zehn Minuten haben, um das Nötigste zusammenzuraffen. Und dann nur raus, raus, raus“, schildert der Ehemann die unfassbaren Momente.

Was man zurzeit in der „Wohnung“ der Hornungs sehen kann, sind in erster Linie Luftentfeuchter. Ansonsten sieht es aus wie in einem Rohbau.
Was man zurzeit in der „Wohnung“ der Hornungs sehen kann, sind in erster Linie Luftentfeuchter. Ansonsten sieht es aus wie in einem Rohbau. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Was schnappt man sich in so einer Extremsituation?

Aber, was schnappt man sich in so einer Extremsituation? „Völlig verrückte Sachen, man ist absolut kopflos“, sagt die 79-Jährige. Die beiden gehbehinderten Senioren waten zum rettenden, roten Mannschaftswagen – nur notdürftig bekleidet – durch den kniehohen See vor der Haustür. Die helfenden Hände der Feuerwehr wollen das Ehepaar in eine Notunterkunft bringen. Aber die Enkelin grätscht dazwischen. Das komme nicht in Frage. Oma und Opa übernachten bei ihr.

Finanzielle Hilfen

Wer keine Elementarversicherung hat, steht nach der Flutkatastrophe komplett im Regen. Die Caritas arbeitet eine Liste der Menschen ab, die seit Mitte Juli durch die Jahrhundertflut in Hattingen alles verloren haben. Petra Backhoff besucht die Geschädigten und bietet Hilfe. Sie traf sich vor wenigen Tagen mit Marica und Heribert Hornung an deren immer noch völlig unbewohnbaren Wohnung in der Schleusenstraße 6.„100.000 Euro hat die Stadtsparkasse für die Flutopfer der Stadt zur Verfügung gestellt. Weitere 40.000 Euro kamen durch Spenden zusammen. Natürlich nur für Menschen, die keine Elementarversicherung haben“, sagt Petra Backhoff.2800 Euro aus dem Topf haben die Hornungs davon erhalten.

Acht Wochen später steht Petra Backhoff von der Caritas mit dem Ehepaar vor der Haustür, Schleusenstraße 6. Neben ihnen immer noch ein riesiger Container mit Hausrat, den die Schlammmassen überrollten. Sie hat eine ganze Liste von Flutopfern, die sie besucht und kümmert sich. Es sind ausnahmslos Hattinger, die keine Elementarversicherung hatten und komplett vor dem Nichts stehen.

Keine Elementarversicherung

„Als wir vor 16 Jahren hierhin zogen, wollte ich eine Elementarversicherung abschließen. Aber, weil wir hier im Risikogebiet liegen, hat sich die Versicherung herzlich bedankt und gesagt, dass sie hier keine Elementarversicherung abschließe“, erzählt Heribert Hornung. „Jetzt bekommen wir keinen Cent. Denn die Hausratversicherung kommt für diese Art von Wasserschäden nicht auf.“

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Was man zurzeit in der „Wohnung“ sehen kann, sind in erster Linie Luftentfeuchter. Ansonsten sieht es aus wie in einem Rohbau. Eine Lampe baumelt im Wohnzimmer noch von der Decke, ein paar Hängeschränke „zieren“ das, was man früher Küche nannte, auch die Fußbodenheizung ist längst entsorgt. Hinter den schlammverdreckten Stauden im gepflegten Garten plätschert tief unten ruhig die Ruhr. Idylle pur.

Weiter unbewohnbare Flut-Traumwohnung

Die Hornungs, die durch einen Bekannten glücklicherweise eine 45 Quadratmeter kleine Wohnung gegen ihre 90 Quadratmeter große, weiter unbewohnbare Flut-Traumwohnung tauschten konnten, sind die einzigen, die zurückkehren werden. „Man kommt im Kopf kaum weiter“, sagt der 77-Jährige. „Es ist wie in einem schlechten Film.“