Hattingen. Sie sind traurig, hätten auf Friedrich Merz gesetzt, kritisieren fehlende Motivation, hoffen auf Jamaika – ein Stimmungsbild der CDU Hattingen.
„Das Wahlergebnis ist eine Katastrophe. Ich bin Christdemokrat mit Leib und Seele, deswegen bin ich heute sehr traurig,“ sagt Ralf Brauksiepe. 19 Jahre – von 1998 bis 2017 – hat der CDU-Mann aus Niederwenigern den Wahlkreis Ennepe-Ruhr II im Bundestag vertreten. Stets kam er über die CDU-Reserveliste nach Berlin. Und der Abstand wurde immer kürzer. Zuletzt trennten ihn noch 0,3 Prozentpunkte vom Direktmandat. Jetzt liegen wieder zehn Punkte dazwischen.
Grund genug also für eine traurige Wahlanalyse. Die kommt auch. „Das hat die CDU nach 16 Jahren guter Regierungsarbeit nicht verdient“, meint Brauksiepe. Viele Parteifreunde, aber auch Bürger an der Haustür hätten ihm auch zuletzt noch ein Bild vermittelt, bei dem die Lage besser war als die Stimmung. Am Ende war beides miserabel: Die CDU ist abgestürzt.
Das Beste aus Deutschland machen
Woran hat es gelegen? „Schwer zu sagen“, überlegt Ralf Brauksiepe. „Manchmal kommt das so. Dann stürzt man aus großer Sympathiehöhe ins tiefe Tal. Martin Schulz von der SPD hat das als Kanzlerkandidat ja auch erlebt. Vielleicht hätten uns ein paar Wochen mehr Zeit zur Aufholjagd geholfen. Jetzt ist es, wie es ist. Die Mehrheit hat der CDU nicht zugetraut, das Beste aus Deutschland zu machen.
Was hat CDU-Direktkandidat Hartmut Ziebs falsch gemacht? „Nichts. Ich bin dankbar, dass er kandidiert hat“, betont Ralf Brauksiepe. „Aber wenn die CDU im Bundestrend hinter der SPD liegt, kann sie auch EN nicht holen.“
Im Januar für Merz gestimmt
Das sieht auch Gerhard Nörenberg so. Der Vorsitzende von Stadtverband und Ratsfraktion der CDU Hattingen bescheinigt dem Direktkandidaten aus Schwelm einen aktiven und zielgerichteten Wahlkampf. „Hartmut Ziebs hat eben auch darunter gelitten, das es wegen Corona keine Feste und keine Veranstaltungen gab. Da kann man sich nicht bekanntmachen.“
Von der Weltpolitik zum Wohnungsbau
„Ich will keine Karriere machen, ich will Politik machen“, sagt Ralf Brauksiepe in seinem ersten Interview als potenzieller Bundestagskandidat im Oktober 1993 zur WAZ. Die Karriere folgt – weil er Politik macht. Ab 1998 als Abgeordneter, nach der Wahl 2009 dann auch als Parlamentarischer Staatssekretär. Sowohl im Arbeits-, als auch im Verteidigungsministerium steht er Ursula von der Leyen zur Seite. Im Herbst 2018 der Wechsel von der Weltpolitik zum Wohnungsbau. „Politisches Gewicht gibt man ungern ab“, gibt er zu. Es sei politisch schmerzhaft, beruflich aber folgerichtig. Vivawest bestellt den Schalke-Fan in die Unternehmensspitze.
Apropos bekannt: „Dass die Bundestagswahl in erster Linie eine Personenwahl ist, wird ja immer deutlichen“, sagt Nörenberg. Und macht aus seiner Meinung keinen Hehl, dass die Bundes-CDU aufs falsche Pferd gesetzt hat. Dass Gerhard Nörenberg bei der Wahl des CDU-Bundesvorsitzenden im Januar Friedrich Merz gewählt hat, hat er früh öffentlich gemacht.
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Fehlende Geschlossenheit in der Bundes-CDU ist für Theo Haske die zentrale Ursache für die Wahlschlappe. Der Christdemokrat aus Niederwenigern hat seinen Stadtteil mehr als 50 Jahre im Rat vertreten, macht Wahlkämpfe für seine Partei seit 1957. „Ich bin sehr enttäuscht und hatte bis zuletzt gehofft, wir könnten die SPD noch knapp hinter uns lassen.“
Eine Niederlage ist noch kein Niedergang
Das Gerangel um den Bundesvorsitz, der Streit zwischen Laschet und Söder um die Kanzlerkandidatur, dazu noch Laschets individuelle Fehler – „da ist einfach zu viel zusammengekommen“, sagt Haske.
Und das ist nicht alles: „So einen zurückhalten Wahlkampf habe ich von meiner Partei überhaupt noch nicht erlebt“, hebt der Wennische heraus. „Da war überhaupt keine Motivation zu spüren.“
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Auch Haske nimmt Hartmut Ziebs in Schutz: „Er war sehr aktiv und allein fünf Mal in Niederwenigern. Letztlich lief die bundesweite Stimmung auch gegen ihn. Allerdings hat man gemerkt, dass er noch nicht sehr lange in der Politik ist.“
Marcel Zok sieht den Wahlausgang sportlich. „Eine Niederlage ist noch kein Niedergang“, sagt der junge Chef des CDU-Ortsverbandes Holthausen. Zumal es eine richtige Perspektive gebe. „Jamaika ist möglich“, glaubt Zok. Dann werde auch die CDU neue Wege gehen.