Hattingen. Weil die Maskenpflicht das Lippenlesen verhindert, haben Gehörlose große Probleme. Die Selbsthilfegruppe “Die Löffelboten“ sieht nur eine Chance.
Anstrengend ist das Leben in diesen Zeiten der Corona-Pandemie für alle Menschen. Abstand halten und Mundschutz tragen ist Pflicht. Die Masken bedeuten aber für Gehörlose und Schwerhörige den absoluten Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben, weil sie nicht mehr von den Lippen ablesen können. "Darauf sind wir aber angewiesen, um etwas zu verstehen", erklärt Bärbel Brinkert, Sprecherin der Selbsthilfegruppe "Die Löffelboten".
Nicht nur die Schwerhörigen, sondern auch die Gehörlosen, die ja eine eigene Gebärdensprache haben, und die Träger und Trägerinnen von Implantaten lesen von den Lippen ab. Für viele ist diese Zeit mit so hohen Auflagen eine echte Katastrophe, weil sie sich gar nicht mehr verständigen können. Der Besuch beim Arzt zum Beispiel bringt die Schwerhörigen nicht weiter, weil sie nicht von den Lippen lesen können, was der Arzt ihnen sagt.
Eine unsichtbare Behinderung
Dass man in Geschäften jetzt unter Auflagen wieder einkaufen kann, erzeugt bei vielen Betroffenen mehr Frust als Lust. "Das größte Problem ist, dass Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit eine unsichtbare Behinderung ist", betont Bärbel Brinkert. Und das führt oft zu Situationen, wie sie eine Bekannte von ihr vor wenigen Tagen in einem großen Elektronikgeschäft erlebt hat.
"Dort wollte sie einen Fön kaufen und aus dem Grunde eine Beratung haben. Sie bat den Verkäufer, ihr die Antworten aufzuschreiben. Der hat sich dann einfach umgedreht und meine Bekannte stehen lassen."
Es gibt auch erfreuliche Situationen
Ohne einen Fön, aber mit viel Frust verließ die Frau das Geschäft und fuhr nach Hause. "Selbst meine Tochter, die ja meine Schwierigkeiten kennt, hatte die Auswirkungen des Maskentragens für uns überhaupt nicht präsent", wundert sich die Sprecherin der "Löffelboten", die selbst seit Jahren Betroffene ist.
Auch erfreuliche Situationen gibt es, wenn das auch leider die Ausnahmen sind. Mit Block und Bleistift in der Hand ging eine andere Bekannte von Bärbel Brinkert in ein großes Möbelhaus, weil sie für ihre Wohnung ein Möbelstück brauchte.
Das Land Baden-Württemberg erlaubt Erleichterungen
Da sei sie von der Verkäuferin hervorragend bedient und beraten worden. "Manche nehmen dann für kurze Zeit die Maske ab, so dass die Verständigung reibungslos klappt."
Bärbel Brinkert wünscht sich für NRW die gleichen Erleichterungen, wie sie für Gehörlose und Schwerhörige in Baden-Württemberg gelten. Da herrscht für Hörgeschädigte und eine Begleitperson keine Maskenpflicht, damit eine Kommunikation überhaupt möglich ist.
Masken mit Sichtfenster zum Lippenlesen
Dass mittlerweile Masken genäht werden, die im Mundbereich ein Plastikstück eingesetzt haben, hat Bärbel Brinkert erfahren. Wir in unserer Gruppe haben die aber noch nicht zur Verfügung", sagt sie.
Sie will auf jeden Fall Kontakt mit einer anderen Selbsthilfegruppe aus Gelsenkirchen aufnehmen, bei der diese Masken mit Sichtfenster zum Lippenlesen bereits angekommen sind.
1500 hochgradig Schwerhörige in Hattingen
In Deutschland leben etwa 80.000 Gehörlose und 16 Millionen Schwerhörige, gibt der Deutsche Gehörlosen-Bund an. Bärbel Brinkert, Sprecherin der Hattinger Selbsthilfegruppe "Die Löffelboten" kennt die Problematik, weil sie selbst seit vielen Jahre betroffen ist.
In ihrer Selbsthilfegruppe sind 15 Personen organisiert. Sie geht aber davon aus, dass es alleine in Hattingen um die 1500 hochgradig Schwerhörige gibt. Sie alle leiden jetzt unter der Maskenpflicht, weil sie nicht mehr von Lippen lesen können und von jeder Kommunikation abgeschnitten sind.