Hattingen. Durch einen Anruf seiner Schwester erfährt in Chemnitz Matthias Kriese, der heute in Hattingen lebt, 1989 vom Mauerfall. Wie er die Zeit erlebte.
Auf einem Bauernhof in Chemnitz, medial abgeschnitten von der Welt, lebte Matthias Kriese, als vor 30 Jahren die Mauer in Berlin fiel. Davon erfahren hat er so erst am nächsten Morgen.
„Da rief meine Schwester aus Leipzig bei meiner Vermieterin an, die ein Telefon hatte und fragte, ob ich gehört hätte, dass die Mauer offen ist“, erinnert sich der 51-Jährige.
Matthias Kriese aus Hattingen erlebt die DDR-Zeit als kritischer Jugendlicher
Matthias Kriese, Ex-Chef des Hattinger CVJM und jetziger Bildungsreferent der Evangelischen Erwachsenenbildung Ennepe-Ruhr in Schwelm, ist in der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen – und zwar im Vogtland. „Die letzten Jahre der DDR habe ich als Jugendlicher und junger Erwachsener erlebt, das ist ein Alter, in dem man kritisch ist. Zumal ich damals schon an die evangelische Kirche angebunden war.“ Und Verwandte in Stuttgart hatte er obendrein.
„Mein Blick war kritisch-differenziert. Ich hatte schon das Gefühl, dass es mit der DDR nicht mehr lange gut gehen kann. Alles verfiel, war marode. Man spürte, dass die Unzufriedenheit größer wurde.“
Weil er nicht zur nationalen Volksarmee will, macht Matthias Kriese erst kein Abitur
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Auch die eigene. Sein Abitur legte er zunächst nicht ab, weil das ausdrückte, dass man studieren wollte – und „es gab einen Automatismus, dass einem dann nahegelegt wurde, zur nationalen Volksarmee zu gehen für einige Jahre. Das wollte ich nicht.“ Er bewarb sich um eine Ausbildung, bei der man auch Abitur machen konnte. „Ich wurde trotz eines guten Notendurchschnitts abgelehnt, schlechtere Abiturienten wurden aber genommen. Das hatte wohl mit meinem kirchlichen Engagement zu tun.“
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Graveur lernte er, war in dem Beruf zunächst zufrieden, machte sein Abitur berufsbegleitend nach. Als er im Betrieb keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr sah, entschloss er sich zum Ausstieg – und zu einem sozialen Jahr in Chemnitz – von Februar 1989 bis Februar 1990. In der Kinder- und Jugendarbeit der Kirche. Das lag ihm, schnell wuchs der Wunsch, sich beruflich in die Richtung zu orientieren.
Erinnerung an Montagsdemos und Protestmärsche
Gut erinnert er sich an die Zeit kurz vor dem Mauerfall, an „Montagsdemos und Protestmärsche, auch an Flüchtlingszüge. Im Oktober 1989 war ich mit einer kirchlichen Jugendgruppe in der Slowakei in einem alten Bauernhaus. Wir haben es in Schuss gebracht, sind gewandert.“
Kriese berichtet von einer „hitzigen“ Diskussion der Reiseteilnehmer an einem Abend. Denn manche überlegten, nicht in die DDR zurück zu reisen, sich gleich zur Prager Botschaft durchzuschlagen, um dort auf das Gelände zu gelangen. Für Kriese kam das nicht in Frage. „Am Ende reisten alle nach der Woche mit zurück.“ Und er war wieder in seiner Unterkunft für das Jahr: dem Bauernhof in Chemnitz. Wo ihn der Anruf seiner Schwester erreichte.
Am 22. Geburtstag reist Matthias Kriese erstmals und allein nach Westdeutschland
„Da habe ich dann kurzfristig entschieden, meinen 22. Geburtstag am 13. November im Westen zu feiern.“ Er nahm sich den Tag frei, setzte sich in den Zug und fuhr los. „Ich musste dann in Berlin erst mal gucken, wo denn da der Westen ist“, erinnert er sich amüsiert. In Westdeutschland war er zuvor nie gewesen. „Ich bin durch Berlin spaziert, habe noch Begrüßungsgeld bekommen, mir eine Zeitung gekauft und Kaffee getrunken. Um Mitternacht habe ich mich dann in den Zug zurück nach Chemnitz gesetzt“, berichtet er von seiner spontanen Aktion.
Der DDR trauert er nicht nach. Denn: „Ich habe das immer als ein einengendes System empfunden“, berichtet Matthias Kriese.