Hattingen. Anja Junghans will das Hattinger Industriemuseum interkulturell öffnen. Erste Ideen: Kurz-Führungen, unterschiedliche Veranstaltungen und mehr.
Das LWL-Industriemuseum Henrichshütte soll sich vom Erinnerungs- zum Bedeutungsort entwickeln, der viel mehr unterschiedliche Menschen als bisher erreicht: Diesen Prozess anzustoßen, dafür ist seit dem 1. Juli maßgeblich Anja Junghans (37) verantwortlich, die zuletzt für die Zukunftsakademie in Bochum tätig war und nun für die nächsten vier Jahre auf der Hütte Agentin für Diversität ist. Ein Interview.
Frau Junghans, warum ist das Diversitätsthema für die Henrichshütte eigentlich so wichtig?
Anja Junghans Weil die Gesellschaft sich verändert hat, die Museumsbesucher aber bilden diese Gesellschaft in Gänze nicht ab. Vielmehr kommen hierher vor allem Ältere, hier geborene Bildungsbürger. Da geht es uns nicht anders als den meisten Kultureinrichtungen. Dabei wollen wir doch für alle Gruppen da sein, und auch gesellschaftliche Diskurse anstoßen. Wir müssen mit unseren Angeboten also breitere Schichten anlocken: mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte etwa, von denen haben zum Beispiel bei der Aktion „100 Hüttenleben“ nur sehr wenige mitgemacht, dabei haben auf der Hütte doch sehr viele gearbeitet. Auch Frauen, Menschen mit Behinderungen, ebenso ein jüngeres Publikum muss das Museumsangebot stärker in den Blick nehmen.
Wie wollen Sie das erreichen?
Ich kann Ihnen natürlich keinen detaillierten Vier-Jahres-Plan vorlegen, manches muss man einfach ausprobieren. Zunächst einmal aber wollen wir in der ersten Hälfte des kommenden Jahres verschiedenste Personenkreise interviewen.
Worum soll es in diesen Interviews gehen?
Wir wollen von den Menschen wissen: Besuchen sie das Museum? Wenn nicht, warum? Und welche Angebote würden sie sich in der Hütte wünschen? Für diese qualitative Befragung planen wir etwa, den Türkisch-Deutschen Kulturverein und die muslimische Gemeinde aufzusuchen, Sportvereine, die Hattinger Schulen. Und auch vor dem Reschop Carré oder am Busbahnhof könnten wir Bürger befragen. Diese Interviews sind die Basis für neue Angebote, neue Konzepte. Diese sollen ja schließlich nicht im Elfenbeinturm entstehen, auch ein Bürgerbeirat wäre insofern mit Blick auf mehr Diversitätsangebote hier denkbar.
Unabhängig von den Ergebnissen dieser Bürgerbefragung: Haben Sie selbst denn auch schon erste Ideen, wie sich neues Publikum fürs Industriemuseum gewinnen lässt?
Aber ja! Man könnte zum Beispiel versuchen, verstärkt dialogische Führungen anzubieten, in denen Besucher mit dem jeweiligen Experten ins Gespräch kommen. Oder Ausstellungen mit Mitmach-Angeboten bereichern. Oder noch innovativer: eine Museums-Speed-Führung von einer halben Stunde mit DJ-Musik und Cocktails zum Ausklang.
Coole Idee...
Ich muss allerdings gestehen, sie ist angeregt durch Speed-Führungen in der Bundeskunsthalle in Bonn. Aber als wir kürzlich eine Anfrage für eine Techno-Party hier auf der Hütte erhalten haben, kam mir der Gedanke, dass man verschiedene, durchaus sehr unterschiedliche Veranstaltungsformate miteinander verknüpfen könnte. So gesehen, könnte sogar aus dem ProSieben-Dreh für die TV-Show „Renn zur Million“ ein Museumsangebot erwachsen.
Auch interessant
Wie das?
Durch dieses Event ist über die Hütte doch hier in der Stadt wieder verstärkt gesprochen worden – auch von Menschen, die das Museum noch nie besucht haben. So etwas könnte Anlass zu einem Podiumsgespräch sein über die Bedeutung von Eventkultur; und über die historische Dimension der Hütte.
Und sonst?
Nun: Wir sind beispielsweise bereits dabei, die Führung „Kolleginnen und Kollegen auf der Hütte“ zu überarbeiten, die unterschiedlichen Perspektiven hier verstärkt mit einfließen zu lassen. Und dass das Projekt „100 Hüttenleben“ ausgeweitet werden soll, ist ebenfalls schon klar. Dafür können sich ehemalige Hüttenarbeiter, die aus der Türkei, aus Italien und der ganzen Welt nach Hattingen gekommen sind, um auf der Hütte zu arbeiten, sowie Frauen jederzeit schon jetzt gern bei uns melden.
Und wie lange müssen sich die Hattinger gedulden, bis die interkulturelle Öffnung des Hüttenmuseums tatsächlich klar sichtbar wird?
Das vermag ich natürlich auch nicht genau vorherzusagen. Aber mein Ziel ist es auf jeden Fall, mich selbst bis zum Abschluss des Projekts in vier Jahren für die Hütte überflüssig gemacht zu haben, weil hier jeder Diversität mitdenkt und umsetzt – und zwar nicht nur in Form eines „Add-on“, eines seltenen Zusatzangebotes. Sondern immer.