Hattingen. Die Stadt Hattingen überträgt den Betrieb ihres Kanalnetzes an den Ruhrverband und erhält dafür 110 Millionen Euro. Der Rat stimmt namentlich ab.

Die Stadt Hattingen wird die Abwasserbeseitigungspflicht und das wirtschaftliche Eigentum an ihrem Kanalnetz an den Ruhrverband übertragen. Der zahlt dafür 110 Millionen Euro, mit denen die überschuldete Kommune den Großteil ihrer Kassenkredite auf einen Schlag tilgen will. Nach monatelanger Diskussion fiel die Entscheidung am Donnerstagabend im Rat der Stadt. Die Abstimmung darüber erfolgte namentlich – zum ersten Mal seit 28 Jahren.

SPD, Grüne und FDP sprachen sich für das Geschäft mit dem Ruhrverband aus. CDU, Linke und Linke-Piraten waren dagegen. Alle Fraktionen stimmten geschlossen ab. 27:18 lautete am Ende das Ergebnis der Abstimmung, die viele als Jahrhundertbeschluss werten.

SPD sieht keinen Verkauf von Tafelsilber

Nach vielen Informationsrunden und parlamentarischen Sitzungen zu dem komplexen Thema ging es am Donnerstagabend um die politische Bewertung. Es war die Stunde der Ratsfraktionen. „Dieser Jahrhundertvertrag ist eine riesengroße Chance“, warb Melanie Witte-Lonsing für den Vorschlag der Stadtspitze. „Die Gebühren bleiben stabil, das ist gut für alle Bürger. Und es ist eben kein Cross-Boarder-Deal und kein Verkauf von Tafelsilber.“

Das sehen auch die Grünen so. „Wir haben das Haar in der Suppe gesucht, aber keines gefunden“, erklärte Frank Staacken für seine Fraktion. Über die finanziellen Vorteile für die Stadt hinaus ist den Grünen wichtig, dass man jetzt für die ökologischen Herausforderungen der Zukunft besser aufgestellt sei. Als „finanzpolitisch unbedingt notwendig“ wertet die FDP das Kanal-Geschäft. „Wir sind pleite für die Ewigkeit, wenn nichts passiert“, sagte Gilbert Gratzel. „Und es wird uns niemand helfen. Wir müssen das selbst tun.“

CDU sorgt sich um das städtische Personal

Ganz anders die CDU. „Wir erwirtschaften mit unserem Kanalvermögen einen Überschuss von 1,7 Millionen Euro jährlich. Das geben wir aus der Hand“, warnte Gerhard Nörenberg. Und: Das Modell basiere auf der Einschätzung von Zinsentwicklungen, die man nicht absehen könne. Auch um die Zukunft des städtischen Personals bei den Stadtbetrieben sorgt sich die CDU.

Die Linke lehnt das Kanal-Geschäft ebenfalls ab. Friedhelm Knippel bewertet den Vertrag als Knebel für die nächsten 100 Jahre und forderte einen Ratsbürgerentscheid dazu. Das lehnte die Ratsmehrheit ab. Die Linken-Piraten schließlich machten ihre Kritik in der Forderung auf namentliche Abstimmung deutlich. Damit setzte sich Gunnar Hartmann durch.

>>> Kommentar: Mutig entschieden, richtig entschieden

Frank Mielke ist nicht nur ein Mann der Zahlen. Er hat auch ein Gespür für Stimmungen. Sehr früh in der Diskussion über das Kanalnetz hat der Kämmerer nicht nur erklärt, was der Vertrag ist – sondern auch, was er nicht ist: kein Cross-Border-Deal, keine Zinswette. Den seriösen Tausch von Werten zwischen zwei Partnern einer kommunalen Familie von jenen Horror-Zockereien der Vergangenheit abzugrenzen, war richtig. Und immens wichtig für das Gelingen des Hattinger Griffs nach dem Geld.

SPD, Grüne, FDP, aber auch viele Bürgerinnen und Bürger haben nach dem Haken gesucht. Und keinen gefunden. Wer versteht, dass der Ruhrverband sicher nichts verschenkt, sich aber auch nicht bereichern will, kann zu der Erkenntnis kommen, dass es keinen Haken gibt, der ins Gewicht schlägt. Dazu kommt, dass die Kritiker des Kanal-Geschäfts kein Wort darüber verlieren, was sie denn gegen den finanziellen Würgegriff tun wollen, der die Stadt lähmt.

Der Rat der Stadt hat mutig und richtig entschieden. Das jetzt beschlossene Modell ist eine riesengroße Chance, Handlungsspielräume zurückzugewinnen. Jetzt darf nur niemand der Versuchung erliegen, die Kassenkredite schleichend wieder nach oben zu schrauben. Das wäre fatales Zocken. Und genau die wollte man ja vermeiden. Ulrich Laibacher