Hattingen. Mit einer Betriebsübertragung will die Stadt 110 Millionen Euro Schulden tilgen. Das soll Handlungsspielräume für künftige Generationen schaffen.
Mit einer Informationsoffensive treibt die Stadtspitze ihre Pläne voran, den Vertrieb des kommunalen Kanalnetzes an den Ruhrverband zu übertragen. Das Geschäft soll kurzfristig 110 Millionen Euro in die Stadtkasse spülen und zudem weitere 25 Millionen Euro in den nächsten 20 Jahren. In einer Sondersitzung des Rates hat die Verwaltung das Thema am Mittwochabend in die parlamentarischen Gremien eingebracht. Für den 18. März ist eine große Bürgerbeteiligung im Rathaus geplant. Am 11. April soll der Stadtrat über das Geschäft entscheiden.
Land beauftragt Wirtschaftsprüfer
Bürgermeister Dirk Glaser, Kämmerer Frank Mielke und Ruhrverband-Vorstand Norbert Jardin stellten den Stadtverordneten die Pläne vor. Danach wird der Ruhrverband wirtschaftlicher Eigentümer des Hattinger Kanalnetzes mit mehr als 200 Kanalkilometern und 54 Bauwerken wie Regenrückhaltebecken und Pumpstationen. Das Netz hat einen Buchwert von 51,7 Millionen Euro. Der Ruhrverband zahlt dafür 110,7 Millionen Euro gewissermaßen als Vorschuss auf die zu erwartenden Gebühreneinnahmen in den kommenden 100 Jahren.
Die Stadtspitze will die Summe komplett in die Liquidität stecken und auf einen Schlag 110 der aktuell 133 Millionen Euro Kassenkredite tilgen. „Das ist Befreiungsschlag, der uns und künftigen Generationen endlich Handlungsspielräume verschafft. Außerdem sind wir das Zinsrisiko los“, betont Dirk Glaser die Vorteile.
Gebühren sollen nur um 0,7 Prozent steigen
Durch die Auflösung der freien Spitze im Buchungssystem bringt das Geschäft der Stadt weitere Einnahmen: rund 25 Millionen Euro in den nächsten 20 Jahren. „Das ist zwar reines Buchgeld, hilft uns aber enorm beim Ringen um ausgeglichene Haushalte“, erklärt Frank Mielke.
Beide Seiten der Übertragung betonen, die Stadt Hattingen bleibe Taktgeber des Modells. Sie stelle Abwasserbeseitigungskonzept und Gebührensatzung auf. Apropos Gebühren: Die sollen in den nächsten Jahren jeweils nur um rund 0,7 Prozent steigen. Das habe der Ruhrverband zugesagt. Die genossenschaftliche Einrichtung der öffentliche Hand möchte bei dem Geschäft Synergien heben und seine Kernkompetenz ausbauen.
Politiker fragen nach Umsatzsteuer und Zinsrisiko
Die Politik will die Pläne eingehend prüfen und hatte bereits am Mittwochabend erste Fragen. Sie galten der Gebührenentwicklung (Gilbert Gratzel, FDP), der Umsatzsteuerpflicht (Friedhelm Knippel, Linke) und dem Zinsänderungsrisiko (Reinhard Korfmann, CDU). Unabhängige Wirtschaftsprüfer gaben Entwarnung. Sie haben das Übertragungsmodell im Auftrag des Landes NRW überprüft und sehen keine Risiken.
>>> Kommentar: Der Griff nach den Millionen
Die Stadt steht vor der wohl einmaligen Chance, sich auf einen Schlag aus eigener Hand finanzielle Spielräume für jetzt und künftige Generationen zu verschaffen. Ist ein solcher Schritt wirklich ohne jedes Risiko möglich, wäre er nicht nur verführerisch, sondern zwingend geboten. Dazu will man nicht nur den Stadtrat, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger mit ins Boot holen. Gut so, schließlich ist es unser Geld.
Geld? Risiko? Da war doch was? Ein Cross-Border-Leasing ist die Übertragung nicht. Und auch von Zinswetten auf Fremdwährungen oder Derivaten weit entfernt. Dazu hatte eine Landesbank den Städten damals geraten. Grund genug also, den Griff nach den Millionen gründlich zu prüfen. Kommt grünes Licht, hätten nicht Bund und Land das arme Hattingen gerettet, sondern das neue Landeswassergesetz von 2016.