Hattingen. 56 Mal ist der Hattinger Günther Risse Bundesliga-Schiedsrichter. Weltmeister Overath findet es nicht lustig, als er ihn nach seinem Namen fragt.
Die Engländer sind schuld. Denn die Leistungen der Referees bei der Fußball-WM 1954 in der Schweiz haben Günther Risse schwer beeindruckt. „Das waren Persönlichkeiten“, sagt der Südstädter. Er, eigentlich ein sehr guter Fußballer, entwickelt so nach und nach eine Leidenschaft für die Schiedsrichterei – und die führt ihn bis in die Fußball-Bundesliga.
Die 1970er-Jahre, es ist die Zeit, in der noch Vereine in der höchsten Spielklasse gegeneinander spielen und ein Begriff wie Kommerz nahezu unbekannt ist – abgesehen vielleicht von Eintracht Braunschweig und Jägermeister. 72 Mark bekommen die Schiedsrichter in der Bundesliga für einen Einsatz, dafür gibt es heute nicht mal mehr ein Trikot. Heute gibt es 5000 Euro. Durchaus angemessen, findet Risse. Denn: „Die Schiedsrichterei ist ein echter Leistungssport geworden, und der Druck ist enorm hoch.“
Erste Schritte bei Werden 80 in Essen
56 Mal darf Risse im Oberhaus ran, und er pfeift sie alle, die Beckenbauers, die Müllers, die Overaths. Und vor allem mit dem Kölner Spielmacher gibt es eine denkwürdige Anekdote. „Ich hatte es nicht so mit Namen“, erinnert er sich in einem WAZ-Interview, also fragt er den 1974er-Weltmeister, wie er heißt. Das findet Overath gar nicht lustig. Seinen Namen nennt er trotzdem – und bekommt noch Gelb fürs vorherige Foul obendrauf.
Die ersten Schritte auf dem Fußballfeld wagt Günther Risse bei Werden 80 in Essen. Schnell wird klar, dass er ein sehr guter Torhüter ist. Das merkt auch der ETB Schwarz-Weiß und holt ihn zum Uhlenkrug. 1959 ist das, doch sein Spielglück währt nicht lange – bereits in seiner zweiten Saison verletzt sich der Keeper so schwer, dass er erst ein paar Ligen tiefer zum TuS Hattingen wechselt und dann sogar aufhört.
Da erinnert er sich an die englischen Referees und macht den Schiedsrichterschein. Der Weg nach oben mit der Pfeife ist mühselig. „Man konnte damals immer nur alle zwei Jahre aufsteigen.“ Also arbeitet der Hattinger jeden Tag an seiner Fitness, dreht Runden im Wildhagen oder rennt durch den Schulenbergwald. Weil er selbstständig ist, kann er sich seine Zeit ganz gut einteilen. Günther Risse ist Schneidermeister.
Erste Partie: 1860 München gegen Hertha BSC
In der Saison 1970/71 kommt er in der Regionalliga an, das ist die zweithöchste deutsche Spielklasse, sechs Jahre später im Oberhaus. Erste Partie: TSV 1860 München gegen Hertha BSC Berlin.
Irgendwann spielt das Knie nicht mehr mit und Günther Risse beendet im Jahr 1985 seine Karriere. Was folgt: Er wird Betreuer. Für Schiedsrichter. Etwa für Hellmut Krug, dessen Mentor er ist – „ich habe alle seine 240 Bundesligaspiele mit ihm durchgekaut“, verrät Risse. Bei der SG Wattenscheid 09 betreut er seine jüngeren Kollegen, als an der Lohrheide Bundesliga-Fußball angesagt ist; für den DFB betreut er Schiedsrichter von internationalen Begegnungen in Westfalen – Champions League und Länderspiele.
Besonderer Abschied in Dortmund
Sein Abschied ist ein besonderer: Denn neben Günther Risse macht an diesem 22. März 2017 auch Lukas Podolski sein letztes Länderspiel für Deutschland. Poldi trifft im Westfalenstadion mit dem „Tor des Jahres“ zum 1:0-Sieg gegen England – und der Hattinger bekommt anschließend das Trikot des Kölners. Besser noch: „Der Poldi kam um die Ecke, da habe ich ihn geschnappt und um eine Unterschrift gebeten.“ Aber Günther Risse denkt nicht an sich, will es gar nicht behalten. Nein, er versteigert das Trikot gemeinsam mit der WAZ Hattingen und spendet die 400 Euro Erlös an die Tafel.
>>> Über den Videobeweis und die Handspiel-Regel
Viele Neuerungen gibt es im modernen Fußball, etwa den Videobeweis. „Es wäre schön gewesen, wenn ich zu meiner Zeit auch eine solche Hilfe gehabt hätte. Doch die gab es leider nicht, da musste man sich auf sein Auge verlassen “, so Günther Risse.
Als „Seuche“ bezeichnet der Hattinger im Dezember 2018 im WAZ-Interview die aktuellen Handelfmeter-Entscheidungen in der Bundesliga. Die Schiedsrichter seien verunsichert bei der Findung einer einheitlichen Linie, einschließlich Video-Assistenten.