Gladbeck. Die Sparpläne der Regierung treiben die Landwirte auf die Straße. Dabei rollen sie auch durch Gladbeck. Bernd im Winkel sagt, warum er mitmacht.

Die von der Bundesregierung im Dezember angekündigten Kürzungspläne im Agrarbereich sind vom Tisch: Die Befreiung von der Kfz-Steuer bleibt nun doch erhalten, der Rabatt beim Agrardiesel soll nicht auf einen Schlag, sondern schrittweise bis 2026 eingeschmolzen werden. Bernd Im Winkel, Gladbecker Landwirt in zehnter Generation, ist trotzdem unzufrieden: „Das Thema ist in Gänze nicht akzeptabel“, sagt er in der geräumigen, historischen Stube seines Wohnhauses, das nach Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg zusammen mit allen Wirtschaftsgebäuden mühsam wieder aufgebaut wurde.

Auch interessant

Getrotzt hat der Milchviehbetrieb schon so mancher Widrigkeit: 1220 wurde der heute am Westrand von Gladbeck liegende Hof erstmals urkundlich erwähnt, seit 1575 befindet er sich in Familienbesitz. Diese lange Familiengeschichte zeigt, was alles an einem mittelgroßen landwirtschaftlichen Betrieb wie dem von Bernd Im Winkel hängt und warum Bauer-sein kein Beruf wie jeder andere ist. Mit fast jedem Hof, der dicht macht, geht auch eine Familiengeschichte zu Ende. Bernd Im Winkel erinnert sich: „Als ich 1990 meine Ausbildung zum Landwirt abschloss, gab es in Gladbeck 34 Höfe, heute sind noch drei übrig geblieben.“

Gladbecker Landwirt rechnet mit über 10000 Euro Mehrkosten im Jahr

Auf dem seinem, einem mittelgroßen Betrieb mit 130 Hektar Land und rund 300 Milchkühen, stehen fünf Traktoren. Um sie geht es in der Hauptsache bei den im Dezember angekündigten Sparplänen. Was die für seinen Betrieb bedeutet hätten, hat er einmal ausgerechnet: Ein Plus von 3000 Euro als Kfz-Steuern und 8500 Euro Mehrkosten beim Tanken seiner Fahrzeuge – macht eine jährliche Mehrbelastung von 11.500 Euro. Aus dieser Rechnung wird deutlich: Das Gros der Mehrkosten bliebe auch bei den aktuellen Plänen der Ampelkoalition erhalten.

Deswegen will sich Bernd Im Winkel, zugleich Vorsitzender im landwirtschaftlichen Ortsverein Gladbeck, am kommenden Montag, 8. Januar, auch an der Protestfahrt von Kirchhellen nach Recklinghausen beteiligen. Mit gleich zwei Fahrzeugen: Einen Traktor fährt er selbst, den anderen sein 21-jähriger Sohn Felix, der den Betrieb später einmal übernehmen soll.

Rund 300 Rinder hat Bernd Im Winkel bei sich im Stall stehen.
Rund 300 Rinder hat Bernd Im Winkel bei sich im Stall stehen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Gladbecker hält Kfz-Steuer bei Agrarfahrzeuge für unangemessen

Erreichen wollten er und seine Berufskollegen damit, dass auch die zweite Maßnahme, das Ende der Agrardiesel-Rabatte, noch gekippt werden. Im Winkel befürchtet außerdem, dass die jetzige Aussetzung der Kfz-Steuer in Wirklichkeit nur eine Verschiebung bedeute. Dabei sei diese Vergünstigung nur fair, die Steuer sei schließlich zur Ausbesserung von Straßen gedacht, und die würden von Traktoren auf dem Weg von und zum Feld kaum in Anspruch genommen.

Das ist aber nicht der einzige Grund für den Unmut der deutschen Bauernschaft. Es hat sich über die Jahre manches angestaut; die jüngsten Sparpläne waren wohl nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. „Die Gewinnmargen in der Landwirtschaft sind in den letzten Jahren immer weiter zurückgegangen“, so Im Winkel. Beim Milchpreis gäbe es für die Erzeuger kein Mitspracherecht. „Ich weiß erst am Monatsende, was ich für die angelieferte Milch bekomme.“

Auch interessant

„Ein Kampf von David gegen Goliat“

Deswegen entschieden sich wie er immer mehr Bauern, Produkte über Direktvermarktung an den Kunden zu bringen: Ein Geschäft, das bei ihm momentan allerdings allenfalls zehn bis fünfzehn Prozent vom Gesamtumsatz ausmache. Die Einzigen, die von der derzeitigen Preispolitik profitierten, seien weder die Bauern, noch die Molkereien, sondern vermutlich die Lebensmitteleinzelhändler, sprich die wenigen Discounter, die den deutschen Markt unter sich aufgeteilt haben – und die wegen Preisabsprachen und Mitnahmeeffekten auch immer wieder von der Verbraucherzentrale kritisiert werden. „Ein Kampf von David gegen Goliat“, resümiert Im Winkel.

Die Mehrkosten einfach an den Konsumenten weiterzugeben, fällt als Option weg. Bleibt also nur: Kosten senken, rationalisieren. Hier sei man indes an ein Ende gelangt. „Irgendwann werden die Stellschrauben immer kleiner“, sagt Im Winkel. „Und dann haben wir es immer mit einem hohen, witterungsabhängigen Risiko zu tun“. Bernd Im Winkel verweist auf die Überflutungen in Niedersachsen: Keine guten Nachrichten für diejenigen, deren Felder jetzt wochenlang unter Wasser stehen. Und dass die Strompreisbremse nun ausgelaufen sei, mache die Gesamtsituation auch nicht besser.

Zum Auftakt der Protestwoche zieht ein Demonstrationszug durch Gladbeck

Wünschen würde der Gladbecker sich mehr Planungssicherheit. Im Winkel weiß von Kollegen, die vor Jahren neue Schweineställe gebaut hätten. Zwischenzeitlich wurden dann die Tierwohlnormen angepasst. Die neuen Ställe müssten nun wieder umgebaut werden – mit neuen Bankkrediten, während die alten natürlich auch weiter bedient werden müssten. „Früher waren zehn Jahre Planungssicherheit normal“, versichert Im Winkel.

Für die Sternfahrt von Kirchhellen nach Recklinghausen, Auftakt einer bundesweiten Protestwoche, hofft er auf eine „ordentliche, gesittete, friedliche Kundgebung“. Aus Gladbeck sei man mit zehn Fahrzeugen vertreten. Man wolle die Bürger dabei möglichst wenig stören. Bei allem Verständnis für den Frust seiner Berufskollegen, lehnt Im Winkel Protestformen, wie sie im Dezember vereinzelt in Berlin zu beobachten waren, ab. Galgen, Volksverräter-Slogans und rechte Erkennungszeichen seien vollkommen inakzeptabel. Auch für die jüngste Blockadeaktion im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel habe er kein Verständnis. „Ich sage auch nicht: Die Regierung muss weg. Die anderen Parteien können es wahrscheinlich auch nicht besser.“

+++ Weitere Nachrichten aus Gladbeck finden Sie hier. +++

Über diese Straßen rollen die Traktoren

Um 8.30 Uhr wollen die Bauern mit ihren Traktoren und weiteren landwirtschaftlichen Fahrzeugen in der Kirchhellener Ortsmitte starten. Von dort kommen sie schließlich über die Rentforter Straße auf die Kirchhellener Straße in Gladbeck. Über die Sandstraße und die Konrad-Adenauer-Allee geht es denn weiter nach Gelsenkirchen und Herten. Ziel ist ein Parkplatz in Recklinghausen. Das zumindest ist nach Polizeiangaben die derzeit geplante Route.

In Recklinghausen findet eine weitere Kundgebung statt. Zur Mittagszeit wollen dort weitere Bauern mit ihren Treckern zum Wall aufbrechen. Denkbar, dass sich die Gruppe aus Kirchhellen und Gladbeck dem anschließt.

Die Polizei warnt für Montag aufgrund der Proteste generell vor Verkehrsstörungen, nicht nur auf den Straßen. „Verkehrsteilnehmer sollten am Montag mehr Zeit einplanen und auch damit rechnen, dass es im öffentlichen Nahverkehr zu Verspätungen kommen kann“, so die Mitteilung der Polizei.