Gladbeck. In Essen scheint das Bürgergeld „Faulheit“ unter den Empfänger zu fördern. In Gladbeck ist die Lage anders. Wie das Konzept Arbeitslosen hilft.
Einige wollen es ja schon immer gewusst haben: Das neue Bürgergeld, in Kraft seit dem 1. Januar 2023, fördere die Arbeitslosigkeit, statt sie zu bekämpfen, sorge sogar für „Faulheit“ unter den Arbeitslosen. Ein WAZ-Bericht aus Essen sorgte für große Aufruhr, ein Abteilungsleiter des dortigen Jobcenters berichtete davon, dass „etwa zehn bis 15 Prozent der Kunden den Kontakt mit dem Jobcenter abgebrochen haben“, mutmaßlich wegen des Bürgergelds. Einige Kunden, sagt der Jobcenter-Chef, würden sogar zugeben, dass sie mit Bürgergeld plus Minijob oder Schwarzarbeit gut über die Runden kämen. Wie sieht das in Gladbeck aus?
Ganz anders, so viel schonmal vornweg. Wie viele Kunden, so nennt man die arbeitssuchenden Menschen im Jobcenter-Sprech, den Kontakt wegen des Bürgergelds abbrechen, kann man in Gladbeck nicht sagen. „Diese Zahl wird nicht erhoben“, erklärt Jobcenter-Sprecher Thomas König. Es gibt aber eine andere Zahl, um den Stand der Dinge in Gladbeck und im Kreis zu überblicken: die Quote der Leistungsminderungen, auf gut Deutsch: weniger Geld. Die kann das Jobcenter verhängen, wenn ein Kunde nicht kooperiert. Aber, und da wird König ganz deutlich: „Dahinter steht nicht die Absicht, jemanden zu bestrafen. Es geht darum, die Mitwirkungspflicht der Kunden einzufordern. Um die Erinnerung: ‚Du hast Pflichten.‘“ Die Zielsetzung bleibt nämlich die gleiche, egal ob das Kind nun Bürgergeld oder Hartz IV heißt – die Menschen sollen es so kurz wie möglich brauchen.
Bürgergeld in Gladbeck fördert Faulheit? Nein, sagen die Quoten
Und dieses Prinzip funktioniert in Gladbeck, wie gesagt, äußerst gut. Gemessen an der Gesamtzahl der „erwerbsfähigen Leistungsberechtigten“, also aller Menschen, die für das Bürgergeld infrage kämen, lag die Quote derer, denen die Leistungen gemindert wurden, bei der aktuellsten Erhebung im Juli bloß bei 0,3 Prozent. Im Kreis wohlgemerkt, in Gladbeck lag sie sogar nur bei 0,2 Prozent. Der NRW-Schnitt liegt bei 0,6 Prozent. Jetzt könnte man ja denken, dass der Kreis Recklinghausen und die Außenstelle in Gladbeck bloß einfach nicht so streng sind, wenn es darum ginge, die „Mitwirkungspflicht“ per Leistungskürzung einzufordern. Könnte man, wäre aber falsch.
Die Bürgergeld-Sätze ab 2024
Ab dem 1. Januar 2024 ist eine Anhebung des Regelsatzes geplant. Das Statistische Bundesamt errechnet die sogenannte Fortschreibung der Regelbedarfe jährlich anhand eines Mischindex. Dieser setzt sich zu 70 Prozent aus der Preisentwicklung und zu 30 Prozent aus der Nettolohnentwicklung zusammen.
Single-Haushalte sollen 563 Euro erhalten, was einer Steigerung von 61 Euro bzw. 12 Prozent entspricht.
Für Paare je Partner/Bedarfsgemeinschaften steigt das Bürgergeld von 451 auf 506 Euro
Jugendliche von 15 bis 18 Jahren bekommen derzeit 420 Euro, dann 471 Euro
Kinder von 7 bis 14 Jahre erhalten momentan 348 Euro, ab Januar 390 Euro
Für Kinder bis 6 Jahre zahlt das Jobcenter jetzt 318 Euro, dann 357 Euro
Denn da ist noch eine zweite Quote, und die ist entscheidend: die Quote der Anhörungen. Die gibt es seit Einführung des Bürgergelds, um Klarheit zu schaffen – warum hat ein Kunde nicht mit dem Jobcenter kooperiert? „Meistens erklärt der Kunde in der Anhörung, dass er zwar mitarbeiten wollte, es aber aus verschiedenen Gründen nicht konnte. Da setzt es dann keine Leistungsminderung, sondern das ist eine Erinnerung: ‚Du hast Pflichten.‘“ Allerdings, sagt Thomas König, könne bei einem entsprechend negativen Verlauf der Anhörung auch die Leistung gekürzt werden.
Bürgergeld macht Arbeitslose und Jobcenter in Gladbeck flexibler
Das alles steht unter einem Banner: Mitarbeit, Kooperation, gemeinsam möglichst flott raus aus dem Bürgergeld. Im Kreis Recklinghausen liegt die Quote der Anhörungen (wieder gemessen an den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten) bei 0,6 Prozent, in Gladbeck bei 1,2 Prozent. In Bezug auf die niedrige Quote der Leistungsminderungen von 0,2 Prozent ist das eine positive Entwicklung, denn sie zeigt: Viele Menschen werden zu Anhörungen eingeladen, nur sehr wenigen wird die Leistung tatsächlich gekürzt. Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand, der Wille zur Mitarbeit der Kunden ist da – der Wille, zu arbeiten.
Und es gibt noch mehr gute Nachrichten. Mit dem Bürgergeld, genau genommen seit Juli 2023, ist der „Vermittlungsvorrang“ gefallen. Folgendes Szenario: Das Jobcenter findet keine passende Anstellung für einen Kunden und besorgt ihm eine Weiterbildungsmaßnahme, um ihn für andere Stellen zu qualifizieren. Alles ist eingestielt, doch dann trudelt unerwartet ein Jobangebot ein. Vor dem Bürgergeld hätte der Kunde das Angebot annehmen MÜSSEN. Nun kann er sich entscheiden, direkt arbeiten zu gehen oder sich fortzubilden. Der Vorteil: Wer höhere Qualifikationen hat und dann in einen Job vermittelt wird, verdient meistens mehr, ist also eher nicht mehr auf das Bürgergeld angewiesen – anders, als wenn er die Stelle annehmen müsste, die zwar niedrigere Qualifikationen voraussetzt, aber auch schlechter bezahlt ist. „Wir können jetzt gemeinsam über sinnvolle Weiterqualifizierungen entscheiden, die Pflicht, eine Stelle annehmen zu müssen, gibt es nicht mehr“, fasst Thomas König zusammen.
Ist das Bürgergeld auf lange Sicht effektiv?
Den Satz „Seit dem Bürgergeld werden weniger Menschen in Arbeit gebracht“ lässt er deshalb auch nicht gelten – in manchen Fällen brauche es einfach mehr Zeit, der Weiterqualifizierung wegen, sei dafür aber auch langfristig erfolgreicher. „Es ist einfach vielschichtiger. Die Änderungen gelten ja erst seit dem 1. Juli 2023. Bis wir belastbare Zahlen dazu haben, braucht es noch Zeit.“
Noch ein Argument für die Weiterqualifizierungen: „Es wird schwieriger, Menschen in ‚einfache‘ Tätigkeiten zu vermitteln“, so König. Wiederum schön zu sehen in diesem Lichte, dass die Qualifizierungsmesse „Neustart auf Tour“ im September in Gladbeck äußerst gut besucht war, und das, obwohl sie für die Jobcenter-Kunden freiwillig war. „Natürlich, wer ein Qualifizierungsangebot, das er auf der Messe erhalten hat, auch tatsächlich angenommen hat, wird sich zeigen. Aber die Teilnehmerquote war sehr gut.“