Gladbeck. Gladbecker Propst André Müller entschied sich mit 27 Jahren für ein Leben ohne Ehe und Kinder. Warum er auf die Liebe dennoch nicht verzichtet.

Wenn Propst André Müller durch die Gladbecker Fußgängerzone geht, kommt er aus dem Grüßen gar nicht mehr raus. Als Pfarrer, Seelsorger und Leiter der katholischen Kirchengemeinde in Gladbeck ist der 53-Jährige vielen Menschen in der Stadt bekannt. Nicht zuletzt auch deshalb, weil man ihn am Abend gerne mal auf ein Feierabend-Bierchen in der Kneipe antrifft.

„Ich bin ein ganz normaler Typ, gerne unter Menschen und führe ein erfülltes und glückliches Leben“, sagt Müller über sich selbst. Und das, obwohl er sich bereits mit 27 Jahren dazu entschieden hat, niemals Ehemann oder Vater zu werden, wobei er durchaus einen Kinderwunsch gehabt hätte. Wie das zusammenpasst und wieso der Pfarrer seinen Lebensweg trotz zwischenzeitlicher Zweifel niemals bereut hat, das erklärt André Müller im Interview mit der WAZ Gladbeck.

Propst Müller, wieso haben Sie sich als junger Mann für das Priesterseminar entschieden?

Der Glaube war für mich schon immer existenziell. Mich hat die Figur Jesus Christus als Vorbild geprägt. Seine Taten und seine Einstellungen haben mich sehr inspiriert. Als ich mit 19 Jahren das Priesterseminar begonnen habe, wollte ich es zunächst allerdings nur ausprobieren – die Entscheidung, wirklich Priester zu werden, habe ich erst danach getroffen.

Im Studium bin ich auf Gleichgesinnte gestoßen, mit denen ich meine Leidenschaft zur Religion teilen konnte. Dennoch hatte ich auch oft Zweifel daran, ob das wirklich der richtige Weg für mich ist. Ich war ein ganz normaler Jugendlicher, hatte Freundinnen und habe Partys gefeiert. Am Ende hat jedoch die Faszination an dieser vielfältigen Berufung überwiegen können. Ich mag die Arbeit mit Menschen, aber auch die organisierende Tätigkeit dahinter.

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Als Priester dürfen Sie keine Beziehungen führen. Fehlt es Ihnen manchmal an körperlicher Nähe?

Das ist nicht ganz richtig. Ich darf Beziehungen führen und tue es auch. Nur halt nicht im sexuellen Sinne. An körperlicher Nähe hat es mir manchmal gefehlt. Früher noch stärker als heute. Das Gefühl von Glück und Erfülltheit ist auch im Leben als Pfarrer nichts Statisches. Es gibt Höhen und Tiefen – wie in einer Ehe eben auch.

Was mir viel mehr fehlt, ist die Erfahrung, Kinder großzuziehen. Ich hätte gerne Kinder gehabt und auch sicherlich viele in diese Welt gesetzt. Das ist ein echter Verzicht.

Wie schafft man es, diese Bedürfnisse so hinten anzustellen?

Ich bin deshalb nicht unglücklich. Ganz im Gegenteil! Meine Arbeit als Seelsorger und die Nähe zu den Menschen ist für mich unglaublich erfüllend. Jede Biografie schreibt ihre eigene Liebesstory. Und so schreibe ich eben meine mit der Religion.

Viele Menschen brechen Liebe auf Sexualität runter, aber Liebe ist viel umfassender als das. Die Freude am Menschen und an der Schöpfung des Menschen ist Liebe. Freundschaft ist Liebe. Sich dem Leben in Freud’ und Leid hinzugeben, ist auch Liebe. All das hat mich auch in zweifelnden Momenten immer in meiner Lebensentscheidung bestärkt.

In Gladbeck steigt die Zahl der Kirchenaustritte

434 Gladbecker traten im Jahr 2021 aus den christlichen Kirchen aus. Ein Jahr zuvor lag die Zahl bei 294. Gründe für die Austritte sind zum einen die Entfremdung von der Religion, das Sparen der Kirchensteuer, aber auch die Missbrauchsskandale, die seit geraumer Zeit vor allem in der katholischen Kirche für Misstrauen und Erschütterung gesorgt haben.

Propst André Müller hat sich von den Vorfällen in „seiner Kirche“ klar distanziert und sein Entsetzung sowie Enttäuschung darüber geäußert. „Ich bin fassungslos, und ich schäme mich, es tut richtig weh“, sagte er im Januar 2022 gegenüber der WAZ Gladbeck.

Wieso gibt es denn überhaupt diese Regel, dass Priester weder Ehe noch Kinder haben dürfen?

Dieses Versprechen geht man mit der Priesterweihe ein. Vom Evangelium ist das eigentlich nicht abzuleiten. Die Regel ist vor Tausenden Jahren eher aus praktischen Gründen entstanden. Die Ehe galt als reiner Vertrag. Frauen hatten keine Rechte und wurden durch den Ehemann abgesichert.

Amtlich geweihte Personen mussten allerdings frei und flexibel sein, häufig umziehen und sich zu 100 Prozent auf ihre Berufung konzentrieren. Das war mit Frau und Kind damals noch unvorstellbar.

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Ist es dann noch zeitgemäß?

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Nein. Absolut nicht. Ich könnte mir durchaus eine Welt vorstellen, in der Priester und Pfarrer der katholischen Kirche heiraten und Kinder zeugen dürfen. Aber das ist leider keine lokale Entscheidung. So etwas müsste weltkirchlich entschieden werden.

In Europa wird die Frage mittlerweile diskutiert, aber in anderen Ländern ist das noch unvorstellbar. Daher halte ich es für unrealistisch, dass sich daran in den nächsten Jahren etwas ändern wird.