Gladbeck. Nach Spendentransporten sind Gladbecker ins Katastrophengebiet gefahren, um mit anzupacken. Sie berichten von schlimmen Bildern und Gestank.
Tief betroffen äußert sich Achim Petersen von der Fluthilfe Gladbeck am Sonntagnachmittag via Telefon. „Es ist etwas ganz anderes, die Bilder vom Katastrophengebiet im Fernsehen zu sehen, und dann selbst hier zu sein.“ Nachdem schon einige Konvois mit Hilfsgütern mit Spenden aus Gladbeck nach Rheinland Pfalz gingen, sind zehn Gladbecker Aktive am Sonntag selbst ins Ahrtal gereist, um tatkräftig mit anzupacken und den Menschen vor Ort zu helfen. Sie erlebten Gänsehautmomente.
„Zuerst sah alles ganz normal aus, doch als wir dann im Ahrtal angekommen sind, haben wir das ganze Ausmaß der Zerstörung sehen können“, berichtet Petersen. In Dernau wurden die Gladbecker über die Einsatzleitung im gesperrten Katastrophengebiet eingesetzt. „Wenn man links und rechts in die Zufahrten zu den Grundstücken blickt, sieht man die totale erschreckende Zerstörung. Ganze Existenzen sind hier von den Wassermassen fortgespült worden.“ Was keine Fernsehbericht einfangen könne, sei der schlimme Gestank im ganzen Ort „ein Gemisch aus Moder und Benzin, und überall hört man auch die Motoren von schwerem Gerät bei der Arbeit“. Die Gladbecker wurden zufällig auch am Haus des Bürgermeister eingesetzt. Zudem in einem Nachbarhaus. Tief betroffen hätten sie dort dem Bericht zugehört, „wie das Wasser bis in die zweite Etage vordrang“, wie sich die Familie nur mit Mühe aufs Dach habe retten können, „um dort sieben Stunden auf ihre Bergung zu warten“.
Die Hilfsbereitschaft für die Katastrophengebiete darf nicht nachlassen
Achim Petersen unterstreicht, dass die Hilfsbereitschaft für die Katastrophengebiete nicht nachlassen dürfe, „das dauert noch Monate, hier alles aufzuräumen“. Die hier betroffenen Menschen seien total dankbar für die Hilfe und Solidarität, „aus ganz Deutschland sind hier freiwillige Helfer wie wir im Einsatz und alles ist gut von de Behörden organisiert“. Materielle Hilfe sei auch weiter hochwillkommen, allerdings in vorheriger Absprache, damit auch das ankommt, was tatsächlich benötigt werde (siehe Infobox).
Vor dem Start am Sonntag waren am Samstag am Lager der Fluthilfe Gladbeck Lkw beladen worden. Am Mittag startete bereits ein Hilfskonvoi Richtung Katastrophengebiet an der Ahr. Überall auf dem Gelände des ehemaligen Landschaftsgartenbetriebes am Wehlingsweg 6 in Gladbeck waren so Ehrenamtler mit dem Sortieren, Verpacken und Verladen verschiedener Hilfsgüter beschäftigt. Dazwischen wuselten die Kinder der eifrig Beschäftigten auf Rollern und Kleinrädern umher und wiesen schon mal soeben Eingetroffene an, wo sie ihre Sachspenden abgeben können. In die Lkw geladen wurden zahlreiche Sixpacks Wasserflaschen, Hygieneartikel, Desinfektionsmittel, Windeln, aber auch Gerätschaften zum Saubermachen und Aufräumen – Schaufeln, Eimer und Schubkarren.
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Über Gladbecker Facebook-Gruppe die Fluthilfe gegründet
Motoren dieser Initiative, die sich spontan zusammengefunden hat, sind Sina Mind, Nadine Müller und Achim Petersen. Seit geraumer Zeit gibt es die Facebook-Gruppe: „Du weiss, dat du aus Gladbeck komms, wenn…“, die Mind und Petersen zusammenführte im Bestreben, den Flutopfern helfen zu wollen. Petersen konnte bereits Erfahrungen einbringen, hatte er doch schon bei der Oderflut 2010 geholfen. Als Dritte im Bunde kam Nadine Müller dazu, die hauptsächlich den organisatorischen Part übernommen hat. Als am 15. Juli die Flut ihren Anfang nahm, rief die kleine Gruppe zu Spenden auf und warb um helfende Hände (WAZ berichtetet). Das Echo war überwältigend.
Die Stadt als aktuelle Besitzerin des Areals stellte das verwaiste Gelände am Wehlingsweg mit seinen Lagerhallen zur Verfügung und die Gladbecker kamen, brachten Sachspenden oder sie packten einfach mit an, so wie an diesem Samstag rund 20 Frauen und Männer. Davon überzeugt sich auch Bürgermeisterin Bettina Weist, die selbst Spenden vorbeibrachte. Für sie sei diese Hilfsbereitschaft ihrer Stadtgesellschaft „sehr bewegend“. „Einfach enorm“, bestätigt auch Nadine Müller, „wir haben aber schnell festgestellt, dass wir keine Kontrolle darüber haben, wo unsere Spenden genau hingehen, wenn wir mit den großen Sammelstellen zusammenarbeiten.“ Mittlerweile koordinieren sie ihre Lieferungen so selbst, im Kontakt mit kleineren so genannten „Bürgersammelstellen“ in Gemeindehäusern oder Kirchen im Katastrophengebiet und erfahren so, was konkret benötigt wird. Nadine Müller ist selbst schon mit einem Konvoi vor Ort gewesen und noch immer erschüttert über das Ausmaß der Verwüstungen: „Es fehlt an der Grundversorgung und die Riesenmüllberge sind beängstigend.“
Gerätschaft zum Aufräumen wird jetzt weiter dringend benötigt
Schultaschen für Kinder im Ahrtal gesucht
Die Gladbecker Fluthilfe nimmt ab Donnerstag, 5. August, wieder Spenden entgegen. Die Sammelstelle am Wehlingsweg 6 ist zur Spendenabgabe in der kommenden Woche am Donnerstag und Freitag von 16 bis 19 Uhr, am Samstag von 10 bis 17 Uhr und Sonntag von 9 bis 14 Uhr geöffnet.
Vor dem Schulstart werde jetzt insbesondere Schulsachen benötigt, da auch diese Opfer der Fluten geworden sind. Gebrauchte, aber gut erhaltene Schultornister und Materialien sind so als Spenden für die betroffenen Kinder und Jugendlichen im Ahrtal willkommen, damit sie wieder eine eigene Tasche haben.
Weiterhin fehlen Desinfektionsmittel und vor allem größere Bautrockner. Gibt es Gladbecker Bauunternehmer oder Handwerksbetriebe, die die Gladbecker Fluthilfe hier unterstützen könnten? Auch Geldspenden sind willkommen. Die Stadt Gladbeck hat für die Fluthilfe ein Spendenkonto eingerichtet: Stadt Gladbeck, IBAN: DE63 4245 004 00000000034 – Stichwort Fluthilfe.
Die Hilfe aus Gladbeck ist so hochwillkommen. In drei Räumen stapeln sich die gespendeten Kleidungsstücke am Wehlingsweg bis an die Decke – „die meisten Sachen sind in einem tadellosen Zustand“, berichtete einer der freiwilligen Helfer, „aber manchmal haben die Leute nur eine Gelegenheit gesucht, ihr altes Zeug loszuwerden“, konstatierte er kopfschüttelnd. Kleidung, sagt die Initiative, werde momentan nicht mehr gebraucht, ebenso Trinkwasser, denn die Versorgung sei ab nächster Woche sichergestellt. Dafür werden Werkzeug, Geräte zum Aufräumen und Saubermachen, Desinfektionsmittel und Bautrockner, die ziemlich kostspielig sind, dringend benötigt.
Birgit Reichmann ist in einer Halle, gemeinsam mit anderen damit beschäftigt, Lebensmittelspenden in familiengerechte Pakete zu sortieren. Für Bedürftige vom Kleinkind bis zur Oma findet sich in diesen Paketen alles, je nach Bedürfnis. Reichmann ist im Team eine Helferin der ersten Stunde: „Für mich war gleich klar, dass ich helfen wollte. Ich wollte nur Spenden abgeben und bin dann gleich geblieben“, erzählt sie mit einem Lachen. Diese Hilfsbereitschaft, die die Gladbecker an den Tag legen, sei auch für die Helferinnen und Helfer unerwartet gekommen, aber sie mache deutlich, so Achim Petersen, „dass Einzelne etwas Großes erreichen können.“