Vera Bücker vom ADFC wertet die schlechten Ergebnisse des Fahrradklima-Tests als Alarmsignal. Was läuft beim Radverkehr falsch in Gladbeck?

Dass Gladbeck beim Fahrradklimatest 2020 keinen Spitzenplatz erreicht hat, das überrascht Dr. Vera Bücker vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) keineswegs. Aber so „grottenschlechte“ Noten! Nur Rang 49 von bundesweit 110 Kommunen in der gleichen Bevölkerungsstärke, Platz 21 in der Kategorie von 46 im Land – die Expertin hört die Alarmglocken schrillen.

Denn die Fortschritte im Vergleich zum Fahrradklimatest zwei Jahre zuvor – wenn man überhaupt davon sprechen kann – würde sie bestenfalls als marginal einordnen. Denn der Status quo ist geblieben: Die Gesamtnote 3,9 (2018) sank auf jetzt 4,0. Also: Es bleibt gerade mal bei einem „ausreichend“. Greift nicht die Formel: Wo ein Wille, da ein Radweg?

Für das Sicherheitsgefühl vergeben Radfahrer in Gladbeck schlechte Noten

Schön und gut, Abstellanlagen, Erreichbarkeit des Stadtzentrums und zügiges Radfahren verzeichnen jeweils ein Plus von 0,5 und landen bei einer Note von 2,3 bis 2,6. Und, rein hypothetisch, hat Bücker dafür eine Erklärung: „Vielleicht sind im Corona-Jahr mehr Menschen aufs Fahrrad umgestiegen und haben festgestellt: Ja, die Strecke ins Stadtzentrum lässt sich ganz gut bewältigen.“ Das schlage sich in der Bewertung nieder. Und weitere Abstellmöglichkeiten gibt’s tatsächlich – am Standort Hoch10.

Auch interessant

„67 Prozent meinten, das Radfahren sei wichtiger geworden“, so Bücker. Aber von Spaß könne keine Rede sein – die Bewertung sei gleichbleibend schlecht bei der Note 3,5. „Die Ergebnisse des Fahrradklimatests sollten ein Alarmzeichen für Politik und Verwaltung sein, deren erklärtes Ziel ja ist, den Radverkehr zu erhöhen“, meint Vera Bücker, „eine schlechte 3 minus zeigt, dass die bisherigen Maßnahmen nicht funktionieren.“

Auch interessant

Ganz entscheidend sei das Sicherheitsgefühl der Drahtesel-Nutzer – und eine Bewertung von 4,2 animiert nach Ansicht der Expertin nun wahrlich nicht dazu, in die Pedale zu treten. „Dieser Aspekt“, so sagt Bücker mit Nachdruck, sei gerade für Gelegenheitsradler enorm wichtig. „Selbst in dieser Kategorie sind wir noch nicht einmal auf allerniedrigstem Niveau stabil geblieben – Gladbeck ist da von 4,1 auf 4,2 gesunken.“ Vom Komfort mal ganz zu schweigen: Da gab’s diesmal eine 4,8 nach einer ohnehin schon mageren 4,4 im Jahr 2018. „Das ist ja noch unter dem NRW-Durchschnitt von 4,5!“

Auch interessant

Radler beklagen gefährliche Situationen in Gladbeck – zum Beispiel auf der Buerschen Straße.
Radler beklagen gefährliche Situationen in Gladbeck – zum Beispiel auf der Buerschen Straße. © ADFC Gladbeck | Vera Bücker

Bücker: „Gladbeck hat eigentlich noch nicht einmal die Abstiegstendenz der vergangenen Jahre stoppen können.“ Die Daueraufreger in Radlerkreisen sind laut Umfrage ebenfalls nicht verbessert worden: zu schmale Fahrwege und mangelhafte Kontrolle von falsch parkenden Autos (jeweils 4,8). Gleichbleibend schwach, sogar noch einen Tick negativer als vor zwei Jahren, ist die Akzeptanz von Velo-Nutzern – eine 3,9 nach 3,8. „Das sind richtig schlechte Werte“, bilanziert Bücker. Und fügt fix hinzu: „Ich finde es frappierend, dass diese wichtigen, harten Fakten durchweg mies beurteilt wurden. Und das vor dem Hintergrund, dass Verwaltung und Politik von einem Fahrradverkehrskonzept sprechen.“ Da klafften wohl die Selbsteinschätzung der Verantwortlichen und der Zielgruppe auseinander. Oder die Maßnahmen „kommen einfach nicht an“.

Auch interessant

Daher müssten die Fachleute im Rathaus und in der Politik ihre Prinzipien überdenken: „Ist das, was sie machen, der Weisheit letzter Schluss?“ Bücker nimmt die Antwort vorweg: „Nein! Es nutzt gar nichts, irgendwo ein Fahrradsymbol auf die Straße zu pinseln, wenn Autofahrer trotzdem keinen Abstand halten und Radler schnibbeln!“ Wo es machbar sei, sollten breite Fahrradwege angelegt und gegebenenfalls auch Raum für motorisierte Verkehrsteilnehmer weggenommen werden.

Die Verteilung des Raums muss neu organisiert werden

Im Kern drehe sich das Problem doch um die Frage: Wie teile ich den zur Verfügung stehenden Platz zukünftig auf? Bücker wünscht sich mehr Mut, auch unpopuläre Schritte zu gehen – zum Beispiel Parkplätze auf der Buerschen Straße zu Gunsten des Fahrradverkehrs wegzunehmen. Oder auch Falschparker stärker zu kontrollieren. „Ich weiß, dass das schwierig ist, es geht ja auch um mehr Personal und mehr Geld“, räumt die Gladbeckerin ein.

Auch interessant

Grüne fordern Verbesserung

Die Grünen in Gladbeck reagieren wie Vera Bücker vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) nicht erfreut auf die Ergebnisse, die der Fahrradklimatest 2020 für die Stadt zutage gefördert hat. Die Partei gibt die Marschrichtung vor: „Hier müssen wir besser werden.“

„Uns Grüne bestärkt das Ergebnis in unseren Forderungen nach einer schlagkräftigeren Radverkehrsförderung“, so Bernd Lehmann. „Auf unseren Antrag konnte die Personalstelle des Radverkehrsplaners entfristet und jetzt auch besetzt werden.“ Außerdem habe der Stadtrat auf grüne Initiative 30.000 Euro für ein Sofortprogramm bereitgestellt und die Ausbaumittel von 200.000 Euro auf 300.000 Euro pro Jahr erhöht.

Die Grünen wollen weiter kämpfen für die Verkehrswende. Ihr Ziel: „Beim nächsten Fahrradklimatest wollen und werden wir bessere Noten von den Radfahrenden einholen.“ Die Umfrage des ADFC steht alle zwei Jahre an – bis dahin kann sich ja einiges tun auf Gladbecks Straßen.

Doch sie meint, das dürftige Resultat müsse als Weckruf und Ansporn wahrgenommen werden, die eingefahrenen Wege zu verlassen, einfach einmal etwas auszuprobieren. Wie wäre es denn, erst einmal befristet einen Pop-up-Radweg zu testen? Provisorisch ein paar Hütchen als Trenner auf die Straße zu stellen, das könne ja nicht die Welt kosten. Oder eine künstliche Sackgasse, eine Idee, die anderenorts bereits umgesetzt wird, um Autoverkehr aus einer Straße zu nehmen: ein Hinweisschild, ein paar Blumenkübel, fertig! „Wenn’s nicht funktioniert, kann man es ja wieder ändern“, so Bücker. Da immer auch das liebe Geld eine Rolle spielt, das nicht auf der Straße liegt, gelte es auch, neue Fördertöpfe aufzutun.

Auch interessant

Stichwort Geld: Ein Schrittchen in die richtige Richtung sei die Erhöhung des Budgets für den Radverkehr um 100.000 Euro auf 300.000 Euro. Bücker vergleicht: „Marl hat acht Millionen eingestellt.“ Allerdings steht diese Stadt im Test auch nicht auf den vorderen Plätzen. Mit einer Note von 4,28 auf Rang 89, zwei hinter Castrop-Rauxel. Vera Bücker: „Es ist kein echter Trost, dass andere Städte noch schlechter als Gladbeck sind.“ Dorsten an Stelle 37 und Herten auf der 70 können vielleicht Anreiz für Gladbeck sein, sich mehr ins Zeug zu legen.

Weitere Berichte und Meldungen aus Gladbeck lesen Sie hier.