Gladbeck. Die Affäre-Roland habe nichts mit dem aktuellen Wunsch der Gladbecker Siedler zu tun. Sie wollen schon lange ihre beengte Wohnsituation ändern.
Es ist eine Situation zwischen Hoffen und Bangen, die derzeit viele Siedler der Kolonie zwischen Kamp-und Johowstraße in Alt-Rentfort umtreibt. Zum einen ist da die greifbarer werdende Erfüllung ihres seit Jahrzehnten bekannten Wunsches: Mit Unterstützung von Bürgermeisterin und Politik endlich ihre beengten Zechenhäuschen etwas auszubauen zu können. Zum anderen ist da die Sorge, dass ihr Wunsch in der aktuellen Schwarzbau-Affäre des Falles Roland negativ mitbewertet und so nicht unterstützt werden könnte. Die WAZ sprach beim Vor-Ort-Termin über ihr Anliegen mit Johow-Siedlern.
„Wir möchten für den am Donnerstag tagenden Planungsausschuss klarstellen, dass unser Wunsch, unsere Häuser endlich etwas vergrößern zu können, nicht auf den aktuell diskutierten Schwarzbau in unserer Siedlung reduziert werden sollte“, unterstreicht Mike Glaß im Namen vieler Nachbarn. Denn schon seit Jahrzehnten bestehe bei vielen Siedlern der Wunsch, „ihre ehemaligen Zechenhäuser etwas vergrößern zu können, um sie modernen Wohnbedürfnissen anzupassen“.
Der alte Bebauungsplan ist längst nicht mehr zeitgemäß
Bislang würden dies die engen Bebauungsgrenzen im Bebauungsplan für die Siedlung nicht zulassen, der längst nicht mehr zeitgemäß sei - wie der Zuschnitt der beengten Wohnverhältnisse selbst. Der 48-jährige Familienvater gewährt Einblicke in sein quasi historisches Reihenhaus. Eine von vier schmalen, je etwa fünf Meter breiten Wohneinheiten, die in einem Hausensemble dicht an dicht über zwei Wohnetagen beieinanderstehen - wie viele gleichartige Bauten an der Paulstraße. Kaum 60 Quadratmeter fasst die Wohnfläche, im Obergeschoss liegen Schlaf- und Kinderzimmer, im Erdgeschoss Küche und Wohnzimmer, letzteres mit der noch größten Raumfläche von 16 Quadratmetern.
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Vor 115 Jahren, um 1905 erbaut, entsprachen die Häuschen den Bedürfnissen entbehrungsgewohnter Kumpel und ihrer Familien, „aber nicht dem, was heute für eine Familie Wohnstandard ist“, unterstreicht Nachbarin Melanie Zeidler. Seitdem sie ihr Heim 2004 erworben hat, wünscht sie die Anbaumöglichkeit. „Gladbeck bezeichnet sich als familienfreundliche Stadt, wirbt damit auch bei der Erschließung neuer Wohngebiete - aber das gilt wohl nicht für junge Familien wie uns, die in alte Siedlungen ziehen, die damit einen Generationenwechsel erleben.“ Seit ihrem Einzug sei sie in den vergangene Jahren immer wieder auf dem Bauamt gewesen, „wo man mir gesagt hat, dass das Problem bekannt sei, die Änderung des Bebauungsplanes aber Zeit benötige“. Immer in der Hoffnung, dass der Bebauungsplan geändert worden sei sie wieder hingegangen, tatsächlich passiert wäre aber nichts. „So dass ich wie viel andere Nachbarn schon fast resigniert hatte.“ Jetzt hofft die 42-Jährige, dass Politik und Verwaltung endlich ein Einsehen haben, „und uns helfen“.
Nur eine Mini-Badewanne und eine Toilette für eine vierköpfige Familie
„Keiner der Nachbarn will den Siedlungscharakter und die historische Optik zur Straße verändern“, erklärt Mike Glaß, „sondern nur moderat nach hinten etwas anbauen können, gegebenenfalls dabei die bestehenden Schuppen mitnutzen“. Auf letztere bezogen wurde in den 1960er Jahren schon mal ein kleiner Anbau möglich, für Spül-WC und Badewanne, die das Plumpsklo im Schuppen ersetzten. Diese ‘Wellness-Oase’ ist aber nur vier Quadratmeter klein, für eine mehrköpfige Familie ebenso nicht mehr zeitgemäß wie die Badewanne, die nur 1,60 mal 0,70 Meter misst und so für normalgewachsene Erwachsene nur Sitzbäder erlaubt.
Siedlerverein unterstützt Familien
„Wir als Siedlergemeinschaft Gladbeck-Rentfort unterstützen den Wunsch, dass der Bebauungsplan im Sinne der hier lebenden Familien geändert wird“, sagt Werner Hülsermann, Vorsitzender des Vereins. Dafür müsse kein 25.000 Euro teures Gutachten von der Verwaltung in Auftrag gegeben werden. „Ratspolitik und Bauverwaltung können sich hier vor Ort ein Bild machen“, das für sich spreche.Es sei wichtig, „dass die etablierten Parteien die Sorgen der Siedler aufgreifen und ernst nehmen“, mahnt Hülsermann. Denn sonst schüre man die Politikverdrossenheit vieler Bürger, und dürfe sich dann nicht wundern, „dass Rechtspopulisten wie die AfD Stimmen bei Wahlen hinzu gewinnen“.
Auch eher übersichtlich möblierte Zimmer, etwa das Wohnzimmer vom Melanie Zeidler, wirken überfüllt. Die Sitzgarnitur schluckt den Großteil des zur Verfügung stehenden Platzes - so dass an größere Wohnzimmerschränke nicht zu denken ist. Der Küchentisch ist jetzt in Coronazeiten zugleich beengtes Homeoffice für sie und die Homeschooling-Zentrale ihrer Kinder. Auch diese Situation zeige eindringlich, „wie dringend nötig eine Anpassung der Wohnsituation ist“. Die Häuser der Johow-Siedlung seien - wie in vielen ehemaligen Zechensiedlungen im Stadtgebiet - mittlerweile im Privatbesitz. Mit dem großen Unterschied, „dass zum Beispiel in Schultendorf in Absprache von Stadt und Siedlern Anbauten von 30 bis 50 Quadratmetern problemlos möglich wurden“. Da sei es doch kein Wunder, „dass wir uns ungerecht behandelt fühlen“.
Siedler hoffen auf die Unterstützung der Bürgermeisterin und der Ratspolitik
Die Hoffnung vieler Johow-Siedler liege jetzt auf der Bürgermeisterin und der Ratspolitik, „dass sie Verständnis für die Situation der Familien haben und versucht wird, über einen Runden Tisch möglichst unbürokratisch und schnell Bauplan- oder Nutzungsänderungen zu ermöglichen“. Alt-Siedler Hubert Siebert (79) zeigt Verständnis, er habe auch von Nachbarn seiner Generation nichts gehört, dass dagegen Einwände bestehen. „Auch wenn ich nicht mehr ausbauen werde, sollte dass doch für Erben und junge Familien möglich werden.“