Gladbeck. Bernhard Söthe hat seine Humboldt-Buchhandlung in Gladbeck in neue Hände gegeben. Ein Leben ohne Bücher bleibt für ihn aber unvorstellbar.
Bücher begleiten Bernhard Söthe schon sein ganzes Leben. Tausende hat er gelesen, liebt die Klassiker, kennt so gut wie jede Neuerscheinung auf dem Büchermarkt, greift zur Entspannung auch mal zu Kinder- und Jugendliteratur. „Ich habe da überhaupt keine Berührungsängste“, sagt der 65-Jährige. Jetzt hat er die Zeit, seine Proust-Sammlung vielleicht zum vierten Mal zu lesen, sich endlich auch an die letzten Werke der wertvollen Goethe-Gesamtausgabe zu wagen oder in den Bücher-Regalen und -schränken „Schätze“ wiederzuentdecken, die er schon vergessen hatte. Ende 2020 hat Söthe seine Humboldt-Buchhandlung in Gladbeck verkauft und sich mit seinem gleichaltrigen Partner Detlef Uhde in den Ruhestand zurückgezogen.
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Einen Fernseher sucht man in der gemütlichen Wohnung vergebens. Zeitungen und das Radio, wenn es schnell gehen soll, auch mal das Internet, sind ihre Informationsquellen. Stunden vor dem Fernsehgerät könnten sie sich nicht vorstellen. „Dann fehlte uns ja die Zeit zum lesen.“ In Bernhard Söthes Erinnerungen spielen Bücher häufig eine Rolle: Da war das dicke Märchenbuch der Gebrüder Grimm, das er als Knirps geschenkt bekam. Dummerweise lagen unter dem Weihnachtsbaum auch Buntstifte – und die unbedruckte Seite ganz vorn im neuen Buch war bald kunterbunt „illustriert“. „Da haben meine Eltern mir aber schnell beigebracht, was man mit Büchern nicht macht.“
Langjährige Mitarbeiterin ist neue Geschäftsführerin
Am 23. Dezember 2020 hat Bernhard Söthe seine GmbH verkauft. Der neue Eigentümer ist der Gladbecker Unternehmer Oliver Jäger, branchenfremd zwar, aber offensichtlich literaturaffin.
Die Geschäftsführung der drei Buchhandlungen in Gladbeck, Kirchhellen und Bottrop hat Söthes langjährige Mitarbeiterin Daniela Maifrini übernommen. Alle Mitarbeiter behalten ihren Arbeitsplatz.
Auch an das erste selbst gelesene Buch kann sich Bernhard Söthe noch erinnern
Da gab es die Tante, die ihm und seiner Schwester zu jedem Geburts- und Namenstag Bücher schenkte, unvergesslich auch gemütliche Vorleseabende im Kreis der Familie. Sogar an das erste selbst gelesene Buch kann sich Bernhard Söthe noch erinnern: „Aus der Stadtbücherei, mit dicken Seiten und wenig Text. Es ging um die Abenteuer eines kleinen blauen Dampfers. Ich muss in der ersten Klasse gewesen sein, denn ich konnte die Buchstaben nur mit Mühe entziffern.“
Eine kleine Buchhandlung zu eröffnen, das war „eine Jugendspinnerei“ – die 1986 Realität wurde. Das Jura-Studium nach dem Abi am Ratsgymnasium hatte Söthe abgebrochen, „nach ein paar Wendungen“ machte er eine Ausbildung zum Buchhändler und bekam dann tatsächlich die Gelegenheit, die Buchhandlung des evangelischen Schriftenmissionsverlages im Haus der evangelischen Kirche an der Humboldtstraße zu kaufen. „Es hat ein paar Jahre gebraucht, um die Nischenbuchhandlung zu einer mit Vollsortiment auszubauen.“ Seither ist die Humboldt-Buchhandlung in Gladbeck eine Institution – und Bernhard Söthe bekannt als der Fachmann, der unentschlossenen Kunden den Inhalts so gut wie jeden Buches zusammenfassen kann. Der Buchhandlung in Gladbeck folgten in den 90er Jahren Filialen in Kirchhellen und Bottrop. Söthe beschäftigte zwölf Angestellte. Seit 1991 gehörte auch Detlef Uhde zum fachkundigen Team.
Der Abschied aus dem Berufsleben hatte nichts mit der Corona-Pandemie zu tun
Ihren Abschied aus dem Berufsleben hatten Söthe und Uhde schon lange vorbereitet, aus Altersgründen. Mit Corona hatte das nichts zu tun. „Die Lockdowns haben uns nicht geschadet, im Gegenteil: Wir haben neue Kunden gewonnen, sogar junge Leute, die üblicherweise im Internet kaufen und jetzt uns unterstützen wollen. Wir haben kistenweise Bücher ausgeliefert, oder die Kunden holen bestellte Ware an der Tür ab.“ Wie groß die Verbundenheit treuer Stammkunden ist, hat Söthe und Uhde geradezu berührt: „Eine Frau hat schon beim ersten Lockdown etliche Gutscheine gekauft, die sie eigentlich erst Weihnachten brauchte. Manche haben uns Kaffee und Kuchen gebracht, eine Kundin wollte uns sogar eine Monatsmiete bezahlen.“
Von ihren treuen Kunden hätten sich Bernhard Söthe und Detlef Uhde gern im großen Kreis verabschiedet. Das hat die Pandemie verhindert. Sie tröstet die Gewissheit, dass die Humboldt-Buchhandlung weiter besteht, in ihrem Sinne weitergeführt wird. Und obwohl der Abschied nicht leicht war, sie den Kontakt zu und den Austausch mit ihren Kunden vermissen werden, freuen sie sich doch auf das, was jetzt kommt: „Wenn es wieder möglich ist, werden wir wieder Ausstellungen, Konzerte, Opern und Theater besuchen und in Zukunft im Winter in unserem Haus in Portugal leben – Bücher haben wir dort auch genug.“