Gladbeck. Nicht nur das Lesen bereitet Vera S. große Probleme. Sie stoße auch bei Mitmenschen immer wieder auf Unverständnis, berichtet sie.

„Wenn Sie sicher sein wollen, dass die Corona-Verhaltensregeln eingehalten werden, schlage ich Ihnen dieses Schild an Behörde, Geschäft, Wochenmarkt(-stand)... vor: Sehbehinderte Krüppel müssen draußen bleiben.“ Auf ihre schwierige Situation will jetzt Vera S. (67, Name der Redaktion bekannt) aus Gladbeck mit diesem drastischen Vorschlag öffentlich aufmerksam machen.

Sie ist von Geburt an stark sehbehindert, ein Handicap, mit dem sie gerade in Corona-Zeiten besonders zu kämpfen hat: „Wegen der vorgeschriebenen Maske kann ich noch weniger sehen als sowieso schon im Alltag. Ich habe keinen Mut mehr, auf den Markt zu fahren und Geschäfte zu betreten.“ Eine Befreiung von der Maskenpflicht habe sie nicht erhalten, berichtet sie. Bei einer Sehkraft von zehn Prozent auf dem linken und fünf Prozent auf dem rechten Auge ist sie mit beschlagener Brille weitgehend orientierungslos.

Die Gladbeckerin hat häufig mit Unverständnis zu kämpfen

Da diese Behinderung auf den ersten Blick nicht so offensichtlich ist, hat sie häufig mit dem Unverständnis ihrer Mitmenschen zu kämpfen. Beispielsweise beim Einstieg in den Bus, wo schon mal – trotz Corona - gedrängelt werde: „Die Menschen können nicht wissen, dass mein Gesichtsfeld an der rechten Seite stark eingeschränkt ist“. Manche würden ihr sogar in den Rollator greifen. „Bevor ich einsteigen kann, fährt der Bus schon los.“

Der Sprecher der Vestischen rät: "Machen Sie auf sich aufmerksam!"

Christoph van Bürk ist Pressesprecher der Vestischen Straßenbahnen GmbH und betont, die Fahrer würden gerade im Umgang mit Beeinträchtigungen regelmäßig geschult. Er rät: „Da sie ja nur hinten einsteigen kann: Machen Sie auf sich aufmerksam, sprechen Sie einen Mitreisenden an und bitten ihn, dem Fahrer zu sagen, dass Sie etwas mehr Zeit zum Einstieg benötigen.“ Im Übrigen, so van Bürk, gebe es am Einstieg eine Taste, die eigentlich für Rollstuhlfahrer gedacht sei, aber gerne auch bei anderen Beeinträchtigungen betätigt werden könne: „Dann weiß der Fahrer, dass er warten muss.“ Auch wenn dies wegen Corona im Augenblick nicht möglich sei, so biete die Vestische, in Zusammenarbeit mit dem Seniorenbeirat, Mobilitätstrainings mit dem Ziel an, die Angst und das Schamgefühl davor, andere Menschen um Hilfe zu bitten, abzubauen.

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Will Vera S. mit ihrem Rollator ein Geschäft betreten, so bereiten ihr oft Glastüren, die nicht weit genug geöffnet werden können, und Stufenkanten, die nicht entsprechend markiert sind, Probleme. Sie sei schon des Ladens verwiesen worden, sagt Vera S., wenn sie, um besser sehen zu können, nur kurz den Mundschutz abgenommen habe, damit die Brille nicht beschlägt.

Josi Marten, Vorsitzende des Behindertenbeirates stimmt zu, dass es im Umgang mit beeinträchtigten Menschen oft ein Informationsdefizit gebe, was leicht zu Missverständnissen führen könne. So plane der Beirat, die Aufklärungsarbeit zu verstärken. Es sei nicht einfach, so Marten, „die Menschen für die Beeinträchtigungen anderer zu sensibilisieren.“

Kritik: Preisschilder sind oftmals zu klein geschrieben

Besonders irritiert ist Vera S. von den Preisschildern in den Supermärkten, die oftmals viel zu klein geschrieben seien und dazu aufgrund fehlenden Kontrastes nicht deutlich erkennbar. Dies führe bei den jetzigen Corona-Schlangen zu Ärger, weil sie sich alles vorlesen lassen müsse: „Das dauert!“ Vorlesen lassen wollte sie sich jedoch nicht die Fragen, wie sie bei der Ausstellung eines neuen Personalausweises zu beantworten sind. Auf dem vorgelegten Tablet konnte Vera S. sie nicht entziffern, „und Vorlesen geht dabei eigentlich nicht.“

Das Team im Gladbecker Bürgeramt bietet Hilfestellung an

Die Beschäftigten im Bürgeramt seien stets bemüht, auf derartige Sehbeeinträchtigungen Rücksicht zu nehmen, sagt David Hennig vom Presseamt der Stadt: „Hilfestellung wird immer angeboten“, auch könne die Schrift größer gestellt werden. Eine Lupe, um die Vera S. gebeten hatte, sei nicht vorrätig: „Die meisten Kunden mit Beeinträchtigungen bringen ihre persönlichen Hilfsmittel mit.“ Josi Marten vom Behindertenbeirat im Fritz-Lange-Haus jedenfalls lädt Vera S. zur Kontaktaufnahme ein. Sie sei froh über jeden Hinweis, wenn es im öffentlichen Raum etwas zu verbessern gebe.

Weitere Informationen gibt es beim Behindertenbeirat

Corona bedingt fallen zurzeit alle Veranstaltungen und persönlichen Beratungsgespräche des Behindertenbeirates aus. Die Geschäftsstelle des Behindertenbeirates befindet sich im Fritz-Lange-Haus an der Friedrichstraße 7. Telefon: 02043 992287, www.behindertenbeirat-gladbeck.de

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