Gladbeck. Viele Flüchtlingskinder, die 2015 nach Gladbeck kamen, besuchten die Ingeborg-Drewitz-Gesamtschule. Wie diese die Herausforderungen meisterte.
Als vor fünf Jahren viele Menschen nach Deutschland flüchteten, waren darunter auch einige Kinder und Jugendliche. Das sorgte für besondere Herausforderungen, schließlich mussten die Jungen und Mädchen, die in der Regel kein Wort Deutsch sprachen, in die Schulen integriert werden. Besonders viele von ihnen kamen in Gladbeck an der Ingeborg-Drewitz-Gesamtschule (IDG) unter. „Das war für uns eine Selbstverständlichkeit“, sagt Schulleiterin Alrun ten Have heute. Wie viele es insgesamt waren? „Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen.“
Dass die IDG besonders viele Flüchtlingskinder aufnahm, hatte wohl auch damit zu tun, dass die Flüchtlingsunterkunft, in der die ersten Menschen unterkamen, gleich auf dem Sportplatz der Schule eingerichtet war, vermutet Jörg Weichert, stellvertretender Schulleiter. So kamen einige der Kinder gleich zur benachbarten Schule, „sie wollten lernen“, erinnert er sich. Ein weiterer Grund sei, dass viele Aufgaben, die Hauptschulen früher hatten, an Gesamtschulen übergegangen seien. Die IDG ist Gladbecks einzige Gesamtschule.
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Zusätzliche Lehrer konnten eingestellt werden, nur Deutschlehrer waren kaum zu finden
Für das Kollegium bedeuteten die neuen Schüler zunächst einmal viel Organisationsaufwand. Wegen der zusätzlichen Schüler konnte die Schule auch zusätzliche Lehrer einstellen. „Aber die Stellen mussten erst einmal ausgeschrieben werden“, so ten Have. Und: Deutschlehrer waren kaum zu finden, da sie zu der Zeit jeder gerade brauchte. Viele Eltern, Lehrer und Schüler machten sich Gedanken, wie sie helfen können. „Wir haben versucht, den Flüchtlingen zu vermitteln, dass sie willkommen sind. Es gab eine große Hilfsbereitschaft. Es war aber auch klar, dass es eine riesengroße Aufgabe ist“, erinnert sich ten Have.
WAZ-Serie endet
Mit dieser Folge endet die Serie der WAZ, in der die Redaktion die aktuelle Flüchtlingssituation aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet hat. Der Anlass war, dass es in diesem Sommer fünf Jahre her ist, dass der Höhepunkt der Flüchtlingskrise erreicht war.
In der Serie ist zum Beispiel die Situation auf dem Arbeitsmarkt und die Entwicklung der Straftaten beleuchtet worden, außerdem stellte die WAZ einige Menschen vor, die sich in Gladbeck ein neues Leben aufgebaut haben.
Die Schule bildete drei Willkommensklassen. Vor allem Siebt- und Achtklässler galt es zu unterrichten – zunächst mit Händen und Füßen. „In dieser Altersgruppe kamen besonders viele, da meistens Jungen oft unbegleitet ihre Heimat verlassen hatten“, weiß Nadya Kandemir, die die Sprachförderung an der IDG leitet. Die neuen Schüler lernten unterschiedlich schnell Deutsch. „Viele haben gute Abschlüsse gemacht, eine Lehrstelle gefunden“, so Kandemir. „Einige zählten später zu den Klassenbesten, vielleicht nicht gleich in Deutsch oder Englisch, aber etwa in Mathe oder Naturwissenschaften.“
Klassenkameraden nahmen Dania aus Syrien gut auf - später wurde sie stellvertretende Schülersprecherin
Eine von ihnen war Dania. Sie kam im Oktober 2015 aus Syrien nach Deutschland. In ihrer Klasse – sie besuchte nur für den Deutschunterricht die Willkommensklasse – fühlte sie sich gleich zugehörig. „Die Klassenkameraden haben mich gut aufgenommen“, erzählt die 18-Jährige. Schnell engagierte sie sich, unter anderem in der Schülervertretung, ist stellvertretende Schülersprecherin. Nun hofft sie auf einen Studienplatz. „Ich möchte Zahnmedizin studieren.“
Vor zwei Jahren kam Farah ebenfalls aus Syrien. „Anfangs war es schwer, ich habe nicht verstanden, was die Lehrer sagen“, so die 13-Jährige, die die siebte Klasse besucht. Inzwischen spricht sie nicht nur Deutsch, sondern hat auch Türkisch als zweite Fremdsprache gewählt. „In Englisch bin ich auch gut.“ „Farah hat sich als echtes Sprachtalent erwiesen“, sagt Kandemir.
Die Kinder wurden oft zu Dolmetschern für ihre Eltern
Die IDG hatte zunächst vor, Sprachunterricht auch für Eltern in der Schule anzubieten. Das sei aber aus mehreren Gründen gescheitert. So seien die Kinder oft zu Dolmetschern für ihre Eltern geworden. Unter den Flüchtlingskindern waren zudem einige, die in ihrer Heimat nie eine Schule besucht hatten. Für sie waren Alphabetisierungskurse nötig. Lehrerin Sabine Niewerth arbeitete ganz individuell mit ihnen.
Die IDG zieht fünf Jahre später ein positives Fazit. „Die neuen Schüler haben unsere Schule bunter gemacht“, sagt Weichert. Zum Teil seien die Flüchtlingskinder zu Vorbildern für die anderen Schüler geworden. „Sie haben gesehen, dass sie deutlich schlechter Deutsch sprechen konnten als sie, aber durchziehen. Egal, ob das Ziel das Abitur oder die Ausbildung war.“ Den Schulalltag hat die Situation damals vor einige Herausforderungen gestellt. „Wir mussten neu denken, so wie heute in der Corona-Pandemie auch“, sagt Alrun ten Have.