Gladbeck. Georg Kammering engagiert sich seit mehr als drei Jahren für Geflüchtete. Warum ihm zwei Junge Männer aus Afghanistan besonders am Herzen liegen.
Seinen Ruhestand hatte sich Georg Kammering eigentlich anders vorgestellt. Doch statt viel freier Zeit hatte der ehemalige Ausbilder beim Energieversorger RWE sehr schnell wieder „einen Halbtagsjob“. Seit Anfang 2017 kümmert er sich um Geflüchtete, steht zwei Familien mit fünf bzw. vier Kindern und zwei jungen Männer aus Afghanistan mit Rat und Tat zur Seite. Und auch wenn ihm manche Auseinandersetzung mit Ämtern und Behörden „gewaltig auf den Senkel geht“, sich in seinem Arbeitszimmer die Aktenordner auf mittlerweile vier Meter aneinander reihen, ist er mit Herzblut dabei.
Im Freizeittreff Rentfort-Nord fanden Deutschkurse für Geflüchtete statt
Mit zwei Stunden pro Woche fing es an. Im Freizeittreff Rentfort-Nord bot die Stadt für Geflüchtete, die in Containern an der Gesamtschule lebten, Deutschkurse an. Als er gefragt wurde, ob er mitmachen wolle, zögerte Georg Kammering nicht lange. Gemeinsam mit der pensionierten Lehrerin Karin Wirtner versuchte er, den Menschen so viel Deutsch beizubringen, „wie man im täglichen Leben braucht“.
Ein tragisches Ereignis intensivierte den Kontakt zu Salim Mohammadi und Firooz Ahmad Haidari. Die heute 23 und 26 Jahre alten Männer wollten einen Freund besuchen, der nach einem Suizidversuch im Kirchhellener Krankenhaus lag (er hat überlebt). Georg Kammering fuhr mit ihnen zu ihm – und fasste den Entschluss, sich intensiver für Geflüchtete zu engagieren.
Mit Elan und Pragmatismus legte er los, besorgte seinen Schützlingen, mit Hilfe der Stadt, Wohnungen, kümmerte sich darum, dass auch die letzten drei Kinder, „die irgendwie durchs Raster gefallen waren“, zur Schule gehen konnten, half bei Formularen, verhandelte mit Ämtern . . . Und dank seiner Hilfe (und persönlicher Kontakte) haben Salim Mohammadi und Firooz Ahmad Haidari Arbeit gefunden.
Salim Mohammadi macht jetzt in einem Betrieb in Dorsten eine Ausbildung zum Schreiner
Salim (23) arbeitete in seiner Heimat Afghanistan als Tischler. Nach zehn Monaten als Helfer und einem dreimonatigen Praktikum macht er jetzt in einem Betrieb im Dorsten eine Ausbildung zum Schreiner/Tischler. Parallel besucht er Sprachkurse, die er aus eigener Tasche bezahlen muss, weil es für Geflüchtete aus Afghanistan keine kostenlosen Angebote gibt. Der Unterricht an der Berufsschule bereitet ihm manchmal Probleme, obwohl er mittlerweile gut Deutsch spricht. Bei der rebeq bekommt er Nachhilfeunterricht.
Freie Zeit bleibt ihm kaum. Aber das nimmt er in Kauf, er will unbedingt im kommenden Jahr die Abschlussprüfung bestehen. Davon hängt sein weiteres Leben ab, denn Salim ist bisher in Deutschland nur geduldet. Als einziger aus seiner neunköpfigen Familie ist er als Flüchtling nicht anerkannt. Weil er volljährig war, verhandelte das Verwaltungsgericht über seinen Status separat, und seine Fluchtgründe reichten den Richtern nicht aus. Jetzt hofft er auf einen festen Job nach der Ausbildung – und dann auf eine positive Entscheidung der Ausländerbehörde.
Firooz Ahmad Haidari (26) ist Ende 2016 allein aus seiner Heimat geflohen
Firooz Ahmad Haidari (26) ist Ende 2016 allein aus seiner Heimat geflohen. Über die Gründe möchte er nicht sprechen. Natürlich vermisst er seine Eltern und Geschwister. Aber: Mit Blick auf Georg Kammering und seinen Freund Salim sagt er: „Das ist jetzt meine Familie.“ In Afghanistan hat er zwölf Jahre die Schule besucht, einen Abschluss geschafft, der mit dem Abitur hier gleichzusetzen ist. Parallel betrieb er ein Bekleidungsgeschäft, entwarf auch eigene Mode.
Vernetzt mit der Flüchtlingshilfe
Georg Kammering ist eng vernetzt mit in der Flüchtlingshilfe der evangelischen Kirche, in der sich schon seit dem Bosnienkrieg viele Menschen engagieren. Mit ihren Erfahrungen haben sie ihn auf die Aufgaben eines Flüchtlingshelfers vorbereitet und sind federführend beispielsweise bei Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht.
In den „Papierkram“ und die Verhandlungen mit Behörden hat sich Kammering längst eingearbeitet – und dabei eine Erkenntnis gewonnen: „Die Formulare haben mich an meine intellektuellen Grenzen gebracht. Menschen ohne Deutschkenntnisse sind damit allein völlig aufgeschmissen.“
Perspektivisch möchte er gern wieder in der Modebranche arbeiten. Weil das bisher nicht geklappt hat, ist er froh, dass ihm Georg Kammering einen Job bei McDonalds besorgt hat. Filialleiter Markus Kowalzik, der mehrere Geflüchtete beschäftigt, ist sehr zufrieden mit ihm. Nach nur einem Probetag konnte er in der Küche anfangen, arbeitet dort jetzt seit zwei Jahren und fühlt sich wohl. „Ich will nicht zu Hause rumsitzen, und ich will kein Geld vom Jobcenter.“
Nach mittlerweile mehr als drei Jahren als Flüchtlingshelfer spürt Georg Kammering, dass seine Schützlinge immer besser zurechtkommen in ihrer neuen Heimat. Und genau das ist sein Ziel: „Ich will sie nicht ein Leben lang betreuen, sondern erreichen, dass sie ihre Dinge allein zu regeln können.“ Sie sind – dank seiner Hilfe – auf einem guten Weg. Georg Kammerings „richtiger“ Ruhestand rückt näher.