Gladbeck. Die Senkung der Mehrwertsteuer ab dem 1. Juli soll in der Corona-Pandemie Kaufanreize schaffen. So wollen Händler in Gladbeck die Pläne umsetzen.

„Ein netter Versuch“ – so bezeichnet Oliver Schubert, der in Gladbeck auf der Hochstraße sein Geschäft „Optik Frey“ führt, die von der Bundesregierung zum 1. Juli beschlossene und befristete Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 16, bzw. im ermäßigten Satz von sieben auf fünf Prozent. Bei rund 500 Brillenmodellen in seinem Laden stünde der Aufwand, der dafür zu leisten wäre, für ihn als Unternehmer in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Auch andere Händler sehen die Pläne kritisch.

Schubert habe sich entschieden, nicht mit Neuetikettierungen zu beginnen, sondern dem Kunden an der Kasse den entsprechenden Nachlass zu gewähren: „Wer eine Rechnung wünscht, bekommt diese selbstverständlich mit 16 Prozent ausgewiesener Mehrwertsteuer, die wir korrekt so weitergeben“, ergänzt Schubert. Dazu werde am Abend des 30. Juni das Kassensystem umgestellt. Schubert hätte in jedem Fall die ebenfalls diskutierte Möglichkeit, jedem Haushalt Einkaufsgutscheine zur Verfügung zu stellen, favorisiert.

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Optiker Schubert hat den Eindruck, die Kunden holen derzeit die vergangenen Monate nach

Die Steuersenkung soll zum Ziel haben, die Verbraucher im zweiten Halbjahr 2020 um rund 20 Milliarden Euro zu entlasten, Kaufanreize zu schaffen und die Konjunktur wieder in Schwung zu bringen, doch momentan geben sich die Kunden bei Optiker Schubert ohnehin die Klinke in die Hand: „Ich habe den Eindruck, sie holen jetzt die verpassten vergangenen Monate nach.“

Händler können schon vor dem 1. Juli Nachlässe gewähren

Der Steuerrabatt gilt zwischen dem 1. Juli und dem 31. Dezember 2020, wenn eine Ware in dieser Zeitspanne geliefert oder eine Leistung erbracht wird. Allerdings: Der Nachlass ist kein Muss.

Es steht Händlern frei, schon vor dem 1. Juli Nachlässe zu gewähren oder Rabattaktionen durchzuführen. Andererseits können Kunden nicht darauf pochen, dass Händler bei jedem Endpreis den aktuellen Mehrwertsteuersatz in Abzug bringen. Darauf weist die Verbraucherzentrale NRW hin.

Auch Hedwig Pawlak wird die Ware in ihrem Schmuckgeschäft auf der Horster Straße mit keinen neuen Preisschildern auszeichnen: „Wir werden jetzt generell drei Prozent abziehen“, sagt sie. Sie habe ihren Stammkunden ohnehin Skonto gewährt. „Das wird sich bei uns kaum bemerkbar machen.“ Nur bei Batterien und Reparaturen werde sich nichts ändern. „Wir haben eine eigene Uhrmacherwerkstatt, das muss sich rechnen und die Reparaturen werden zunehmend komplizierter.“

Bei „Stil Vest“ greift der Inhaber auf eine Aktion zurück, die er eigentlich abschaffen wollte. Im Bild: Verkäuferinnen Bettina Stanzel und Alexandra Schaumberg.
Bei „Stil Vest“ greift der Inhaber auf eine Aktion zurück, die er eigentlich abschaffen wollte. Im Bild: Verkäuferinnen Bettina Stanzel und Alexandra Schaumberg. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Bei „Stil Vest“ setzt der Inhaber nun doch noch einmal auf eine Rabattaktion für Stammkunden

„Stil Vest“ heißt das Bekleidungsgeschäft von Stephan Ignatzy auf der Hochstraße. Seine Meinung zur Mehrwertsteuersenkung ist ganz klar: „Das hätte man sich schenken können.“ Bei rund 2000 Artikeln in seinem Geschäft will er sich und seinen Mitarbeitern „den Stress mit der neuen Auszeichnung ersparen.“ Ignatzy greift auf eine Aktion zurück, die er ursprünglich habe abschaffen wollen. Jedes Jahr gab es um diese Zeit bei seinem Vorgänger zehn Prozent Rabatt für Stammkunden: „Eigentlich bin ich der Meinung, dass das Rabattieren die Wertigkeit von Produkten zerstört“, erklärt der Geschäftsmann. Er werde bis Ende Juli die Stammkundenaktion trotzdem anbieten und dann neu entscheiden, wie es weitergehen soll. Auf jeden Fall werden in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli die Kassensysteme umgestellt. Ignatzy ist überzeugt davon, die Senkung der Mehrwertsteuer rechne sich nur bei großen Anschaffungen, wie zum Beispiel einem Neuwagen.

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Thomas Schubert vom gleichnamigen Gladbecker Autohaus hat bereits in den vergangenen Wochen die Erfahrung gemacht, dass der Absatz, nicht zuletzt auch wegen der Diskussion um eine mögliche Autokaufprämie für Verbrenner-Modelle, stark rückläufig war. „Und zurzeit findet der Fahrzeugverkauf an Privatpersonen kaum noch statt, da jeder Kunde die dreiprozentige Mehrwertsteuersenkung mitnehmen möchte.“ Viele Kunden hätten ihre Kaufabsicht erst einmal verschoben. „Spannend wird es für Verbraucher und Verkäufer, wenn Kaufverträge in der zweiten Hälfte des Jahres abgeschlossen werden, bezogen auf Auslieferungen im kommenden Jahr, wenn alles wieder rückgängig gemacht werden soll.“