Gladbeck. Martin Borgwerth ist einer von vier Erziehern in Gladbecker Kitas. Der Quereinsteiger (39) arbeitet an der Vehrenbergstraße.

Jemand hat mal behauptet: „Kinderlärm ist Musik!“ Dieser Satz könnte von Martin Borgwerth stammen. Dabei erzeugt die Rasselbande, die den 39-Jährigen im städtischen Kindergarten Vehrenbergstraße umtost, schon einen beachtlichen Geräuschpegel. Doch der Gladbecker bleibt cool. Er ist einer von gerade einmal vier Erziehern stadtweit, die sich in den Kinderbetreuungseinrichtungen um den Nachwuchs kümmern. „Ich bin in meiner Branche immer noch eine Rarität“, sagt Borgwerth mit einem Lächeln. Seine gute Laune kommt nicht von ungefähr, ist er doch fest davon überzeugt: „Für mich ist Erzieher der schönste Beruf der Welt.“ Er würde ihn stets noch mal ergreifen.

Gladbeck: Die externe Ausbildung zum Erzieher war kein Kinderspiel

Dabei wurde die Tätigkeit mit Mädchen und Jungen ihm keinesfalls in die Wiege gelegt: Er stammt beispielsweise nicht aus einer kinderreichen Familie, in der die Älteren die jüngeren Geschwisterchen hüten. Borgwerth ist Quereinsteiger. Der gelernte Einzelhandelskaufmann wechselte von einem Lebensmitteldiscounter, wo er als Filialleiter seine Brötchen verdiente, in den Kindergarten. Im zarten Alter von 34 Jahren. Borgwerth erzählt, dass Schicksalsschläge in seiner Familie sein Leben durcheinanderwirbelten. Schlüsselerlebnisse für seinen beruflichen Wechsel mögen da zwei Erfahrungen gewesen sein. „Ich habe auf meine Nichte aufgepasst, die seinerzeit eineinhalb, zwei Jahre alt war“, so der Gladbecker – mit großer Freude. Und er erinnert sich an eine Kampagne, in der um männliche Erzieher geworben wurde.

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Der Gladbecker entdeckte im beruflichen Alltag seine kreative Ader: „Erst habe ich mich vor dem Basteln gedrückt, mittlerweile habe ich Spaß daran.“
Der Gladbecker entdeckte im beruflichen Alltag seine kreative Ader: „Erst habe ich mich vor dem Basteln gedrückt, mittlerweile habe ich Spaß daran.“ © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Mit Menschen wollte er immer arbeiten, das habe er auch als Einzelhandelskaufmann getan. Borgwerth spricht von einer „spontanen Entscheidung“. Allerdings war ihm eines von vornherein sonnenklar: „Das bedeutet für mich starke finanzielle Einbußen.“ Und auch sein Umfeld stupste ihn auf die Tatsache, dass im Portemonnaie deutlich weniger Geld stecken werde, als ihm als Filialleiter gezahlt wurde. Aber als die Würfel gefallen waren, sei die Resonanz durchweg positiv gewesen. Insbesondere sein Bruder Bernd, mit dessen Familie er samt Frau und zwei eigenen Kindern unter einem Dach lebt, habe ihm „extrem“ unter die Arme gegriffen.

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Das war auch gut so, denn der Weg zu seinem neuen Beruf war nach Martin Borgwerths Schilderung alles andere als ein Kinderspiel. So umfasste die zweieinhalbjährige Ausbildung insgesamt 900 Stunden Praktikum plus Anerkennungsjahr. Nicht zu vergessen die schulische Prüfung, für die alle richtig pauken mussten: Allgemeinwissen, Religion, Aggressionstheorie, „mit Abstand am meisten Pädagogik“ und und und. „Wir waren 20 Leute, davon haben nur zwei bestanden“, berichtet Borgwerth. Einer der fünf Männer, die mit ihm die Schulbank drückten, war nicht dabei.

Girls’ und Boys’ Day

Beim Girls’ Day handelt es sich um einen Aktionstag, der dazu beitragen soll, den Anteil der weiblichen Beschäftigten in „Männerberufen“ im technischen und naturwissenschaftlichen Bereich zu erhöhen. Betriebe, Unternehmen und weitere Arbeitgeber öffnen ihre Türen, um Mädchen und jungen Frauen Einblicke in Ausbildung, Studiengänge sowie Berufe zu geben. Der mittlerweile 20. Girls’ Day ist in diesem Jahr am 26. März.

Als Pendant dazu wurde der Boys’ Day am selben Tag ins Leben gerufen. Dann haben Jungen die Gelegenheit, in Berufe hineinzuschnuppern, die für ihr Geschlecht untypisch sind.

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In der städtischen Kita Frochtwinkel absolvierte der Gladbecker sein Anerkennungsjahr, seit zweieinhalb Jahren spielt, singt, bastelt und malt der Vater von Nina (dreieinhalb Jahre) und Elena (sieben Monate) mit 25 Drei- bis Sechsjährigen in seiner Gruppe an den Vehrenbergstraße, eine von vieren an diesem Standort mit vielen Nationalitäten. Und die Vollzeitkraft leistet wie die Kolleginnen noch vieles mehr. So lernen die Dreikäsehochs von Kinderbeinen Spielregeln fürs Leben. Beispielsweise grundlegende Hygieneregeln, die nicht nur in Zeiten von Corona gelten: in die Armbeuge niesen, regelmäßig und gründlich Hände waschen. Oder Tagesstrukturen – „die sind wichtig!“ –, in denen zum Beispiel Mahlzeiten ihren festen Platz haben. Die Vermittlung von Sprachkenntnissen spiele ebenfalls eine wichtige Rolle. „Die Verantwortung ist groß“, größer, als er je geahnt habe.

Als Erzieher, so betont der 39-Jährige, arbeite er kein bisschen anders als seine Kolleginnen: „Pädagogen sind wir alle.“ Vorbehalten als Mann in diesem Job sei er nur ein einziges Mal begegnet, doch diese Bedenken hätten schnell im Gespräch aus der Welt geschafft werden können. Ganz oben im Handeln der Kita-Beschäftigten stünden stets – einerlei ob Mann oder Frau: „Der Schutz des Kindes und Transparenz.“ Die Zusammenarbeit, der Kontakt mit den Eltern habe im Familienzentrum ebenfalls einen hohen Stellenwert.

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Wie Borgwerth sich selbst sieht? Geduldig, empathisch und vor allem wissbegierig: „Man lernt permanent etwas Neues!“ Was er an seinem Job besonders liebt: „Kein Tag ist wie der andere; und ich gehe nicht mit Bauchschmerzen zur Arbeit, das war nicht immer so.“ Er freut sich, seine Schützlinge auf einer Strecke ihres Lebens begleiten, eine prägende Rolle einnehmen zu dürfen. Der Lohn: „Die Kinder schließen einen ins Herz.“ Aber der engagierte Erzieher gibt auch zu: „Abends brauche ich zu Hause erst eine Stunde Ruhe.“ Und dann ist er für seine Kinder schlichtweg Papa – „nicht Pädagoge“.

Die Stadt Gladbeck betreibt 13 Kitas mit aktuell 799 Plätzen. „Wir beschäftigen dort knapp 200 Menschen“, so Stadtsprecherin Christiane Schmidt. Dabei handele es sich um Erzieherinnen, Kinderpflegerinnen, Hauswirtschafterinnen. Bislang haben nach Angaben der Rathaus-Sprecherin 226 Mädchen und Jungen keinen Kita-Platz.