Gladbeck. Pflegeeltern können Kindern ein neues Zuhause geben. Zwei Frauen aus Gladbeck berichten von dem Weg zur Pflegefamilie und den Besonderheiten.
Mit eigenen Kindern hat es bei Marie und ihrem Mann nicht geklappt. Das Paar fand sich mit dem Gedanken ab, keine Familie werden zu können. Dann bekamen die beiden in ihrem Umfeld mit, dass ein Mädchen nicht mehr in seiner Ursprungsfamilie leben wollte.
Gleich kam den Gladbeckern der Gedanke: Kann die Sechsjährige nicht bei uns leben? „Bis dahin war uns die Möglichkeit gar nicht so bewusst, ein Pflegekind bei uns aufnehmen zu können“, sagt Marie. Heute leben vier Kinder bei ihr und ihrem Mann. Zum Schutz der Kinder möchte Marie ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen.
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Nur selten kommt ein Kind in seine Herkunftsfamilie zurück
„Dass eine Familie gleich vier Kinder aufnimmt, ist die absolute Ausnahme“, sagt Anja Spikowius, als Sachgebietsleitung Jugendgerichtshilfe für Adoption und Pflegekinder zuständig. Wenn immer ein Kind in Obhut genommen werden muss – sei es wegen Missbrauchs-Vorwürfen oder Vernachlässigung – werde nach einer passenden Möglichkeit gesucht, wie es weitergehen kann. „Wir schauen, ob eine neue Familie oder eine Einrichtung in Frage kommt.“ Nur selten kommt ein Kind in seine Herkunftsfamilie zurück.
Eltern treffen sich zum Austausch beim Stammtisch
Väter und Mütter mit einem Pflegekind haben die Möglichkeit, sich bei einem Pflegeeltern-Stammtisch untereinander auszutauschen. Vier Mal im Jahr trifft sich der Stammtisch.
Auch wer Interesse hat, ein Kind bei sich aufzunehmen, kann zu einem der Stammtische dazustoßen, um sich zu informieren. Kontakt per Mail: findefuchseltern@web.de.
Wer sich vorstellen kann, ein Pflegekind bei sich aufzunehmen, kann sich auch an Anja Spikowius vom städtischen Jugendamt wenden: anja.spikowius@stadt-gladbeck.de
Bis eine Lösung gefunden ist, nimmt eine Bereitschaftsfamilie die Kinder auf. Dort sollen sie erst einmal zur Ruhe kommen, lernen, sich an Regeln zu halten und zum Teil ganz grundlegende Dinge des Lebens lernen. Dazu kann auch zählen, sich überhaupt die Zähne zu putzen. Oder aber, dass eine Vierjährige das Sprechen lernt, eine Fünfjährige endlich ihre Windeln ablegen kann. „Man bekommt in ein paar Monaten so viele Auffälligkeiten in den Griff“, sagt Birgit, die seit 15 Jahren Jungen und Mädchen in Bereitschaft in ihrer Familie aufnimmt und ebenfalls zum Schutz der vielen Kinder ihren Namen nicht öffentlich nennt. Neben zwei leiblichen Kindern hat sie auch eine Dauerpflegetochter.
In der Bereitschaftspflege bleiben die Kinder auch schon mal mehrere Monate
„Manchmal sind die Kinder ein paar Tage bei uns, manchmal auch mehrere Monate“, erzählt sie. Denn das Jugendamt vermittelt grundsätzlich nur dann, wenn klar ist, dass ein Kind zu 99 Prozent in der neuen Familien bleiben wird. Laufen etwa noch Gerichtsverfahren, kann es eine längere Zeit sein, die der Nachwuchs in der Bereitschaftspflege verbringt. „Ich sage immer, dass ich so lange für die Kinder da bin, wie sie mich brauchen“, so Birgit.
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28 Jungen und Mädchen hat sie über die Jahre bei sich aufgenommen, immer wieder nach einiger Zeit von ihnen Abschied nehmen müssen. „Es tut jedes Mal weh, wenn ein Kind geht“, sagt sie. Ist eine passende Familie für das Kind gefunden, falle es aber nicht schwer. „Es ist eine Gratwanderung, dem jeweiligen Jungen oder Mädchen ein Bindungs-Angebot zu machen und gleichzeitig zu vermitteln, dass sie bei uns nur zu Gast sind.“
Die Pflegekinder haben alle ihr Päckchen zu tragen
Die Suche nach Pflegeeltern ist nicht einfach. „Es gibt ein Überangebot. Das Freizeitleben mit vielen Reisen und häufigen Besuchen im Fitnessstudio etwa kann man nicht so weiterführen“, weiß Marie. Hinzu kommt: Pflegekinder haben alle ihre Päckchen zu tragen, schließlich sind sie nicht ohne Grund aus ihrer Ursprungsfamilie genommen worden. Auch Alkohol- oder Drogenkonsum der leiblichen Mutter in der Schwangerschaft kann sich im späteren Leben des Kindes noch auswirken.
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Aber: Die Herausforderungen sind zu meistern, wenn man sich darauf einlässt, ist Marie überzeugt. Zudem gebe es die ständige Unterstützung vom Jugendamt. Das gebe alle Informationen über die Kinder an die neuen Pflegeeltern weiter. „Es kann aber sein, dass wir auch nicht alles wissen“, so Anja Spikowius. Je nach Erlebnissen der Jungen und Mädchen kann auch eine zusätzliche therapeutische Behandlung notwendig werden.
Der Kontakt zu den leiblichen Eltern spielt eine wichtige Rolle – und kann eine Herausforderung sein
Eine weitere Herausforderung ist der Kontakt zu den leiblichen Eltern. „Man muss ihnen mit Wertschätzung begegnen“, sagt Birgit. Es sei wichtig, dass die Kinder mitbekommen, dass sich die Pflegeeltern und die leiblichen Eltern verstehen.
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Maries drei Töchter und der Sohn haben nur zum Teil Kontakt zu ihren Eltern. „Man beschäftigt sich aber schon damit was ist, wenn das Kind zurück will oder die Eltern das Kind zurückhaben wollen“, sagt die 46-Jährige. Die Jüngste hat erst ganz frisch bei dem Gladbecker Paar ein neues Zuhause gefunden. Die Fünfjährige war bei Birgit in der Bereitschaftspflege untergebracht. Nach einem ersten Kennenlernen von Marie, ihrem Mann und dem Mädchen stand für die Fünfjährige sofort fest: „Das kann meine neue Mama werden.“ Für Marie und ihren Mann hat es zwar nicht mit leiblichen Kindern geklappt, eine Familie sind sie mit ihren vier Kindern heute aber doch.