Gladbeck. Mehrmals in der Woche besucht eine junge Gladbeckerin eine 80-Jährige und unterhält sich mit ihr. Sie kennen sich über die Taschengeldbörse.

„Es ist ganz, ganz toll, dass ich sie habe“, sagt Ingrid Ollech (80) und schaut Rania Simmo (17) liebevoll an. Die Seniorin und die Jugendliche kennen sich erst ein paar Monate, haben aber in der kurzen Zeit schon so etwas wie ein Oma-Enkelin-Verhältnis aufgebaut. Zueinander gefunden haben sie über die „Taschengeldbörse“, eine gemeinsame Aktion von Jugendrat und Seniorenbeirat: Jugendliche kümmern sich gegen ein geringes Entgelt um ältere Menschen.

Ingrid Ollech kannte die „Taschengeldbörse“ nicht, erfuhr durch einen Zufall davon, als sie auf dem Weg in die Innenstadt Friedhelm Horbach, dem Vorsitzenden des Seniorenbeirats, im wahrsten Sinne des Wortes in die Quere kam. „Ich war mit dem Rollator unterwegs, wollte ihm den Vortritt lassen, und wir sind ins Gespräch gekommen.“ Horbach ergänzt: „Ich habe ihr ein paar Tipps zum Umgang mit dem Rollator gegeben und ihr dann auch von der Taschengeldbörse erzählt.“ Ingrid Ollech war sofort Feuer und Flamme.

Mindestens 5 Euro Stundenlohn

Seit Ende 2017 gibt es die „Taschengeldbörse“. 64 Senioren haben auf diesem Wege bisher Unterstützung von jungen Leuten bekommen. Manche melden sich nur sporadisch, zum Beispiel, wenn der Rasen gemäht werden muss oder wenn sie mit Handy oder PC nicht zurechtkommen. Andere halten regelmäßigen Kontakt.

Die jungen Leute, aktuell sind es 30, bessern ihr Taschengeld auf. Mindestens 5 Euro bekommen sie pro Stunde. Ingrid Ollech zahlt „ihrer“ Rania übrigens das Doppelte.

Wer mitmachen möchte, kann sich als Jugendlicher auf der Internetseite der Stadt Gladbeck beim Jugendrat melden, als Senior bei Friedhelm Horbach, 51973.

Rania besucht Ingrid Ollech mehrmals in der Woche

Seither kommt Rania mehrmals in der Woche zu der alten Dame, nicht zu festen Zeiten, sondern immer dann, wenn Ingrid Ollech anruft, weil sie den Wunsch nach Gesellschaft hat. Sie lebt allein, die Töchter und Enkelkinder wohnen in Bad Godesberg bzw. in Berlin, halten zwar immer Kontakt zur Mutter und Oma, können sie aber nicht regelmäßig besuchen. Ingrid Ollech ist körperlich nicht mehr fit, kann ihre Wohnung im 2. Stock seit einiger Zeit nicht mehr verlassen. Rania geht ihr ein bisschen im Haushalt zur Hand, bezieht mal das Bett, spült Geschirr, gießt die Pflanzen auf dem Balkon, vor allem aber: Die beiden reden miteinander.

„Frau Ollech erzählt mir viel aus ihrem Leben, ich erzähle ihr, was ich erlebt habe, zeige ihr Fotos von Veranstaltungen in Gladbeck, zuletzt vom Stadtpicknick, weil sie ja nicht mehr dabei sein kann“, beschreibt die junge Frau, wie die beiden die gemeinsame Zeit verbringen.

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Die Jugendliche ist Muslima und traute sich lange nicht, sich an der Taschengeldbörse zu beteiligen

Rania schätzt an der alten Dame besonders die Offenheit und Toleranz. Das junge Mädchen ist Muslima, trägt ein Kopftuch – und traute sich deshalb lange nicht, sich an der Taschengeldbörse zu beteiligen: „Ich hatte Angst, dass ich nicht so respektiert werde, wie ich bin.“ Bei Ingrid Ollech war diese Sorge völlig unbegründet. „Mich interessiert überhaupt nicht, wo jemand herkommt, wie er aussieht oder was er trägt“, sagt die Seniorin. „Rania ist ein wertvoller Mensch.“

Die Taschengeldbörse gibt es seit Mai 2018. Jugendliche kümmern sich dabei gegen ein kleines Taschengeld um ältere Menschen.
Die Taschengeldbörse gibt es seit Mai 2018. Jugendliche kümmern sich dabei gegen ein kleines Taschengeld um ältere Menschen. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Mittlerweile gehört auch Ranias Mutter Samira zu den regelmäßigen Besuchern bei Ingrid Ollech. Sie erledigt Einkäufe für die alte Dame, und auch die beiden unterhalten sich gern. Ranias Vater war zur Stelle, als etwas Schweres zu transportieren war. „Ich bin so froh, dass ich diese Familie habe, wir sind Freunde geworden“, sagt Ingrid Ollech. Zu ihrem 80. Geburtstag hat Familie Simmo sie mit einer wunderschön dekorierten Torte überrascht.

Dass Ingrid Ollech und Rania sich so gut verstehen, bedeutet nicht, dass die Seniorin der jungen Frau nicht sagen würde, wenn ihr etwas nicht gefällt. Das war zum Beispiel der Fall, als Rania beschloss, ein Jahr vor dem Abitur die Schule zu verlassen, um eine Ausbildung zur Krankenpflegerin zu beginnen. „Ich habe alles versucht, sie davon abzuhalten, dann aber natürlich akzeptiert, dass sie bei ihrer Entscheidung geblieben ist“, sagt die Seniorin.

Auch schätzt Rania an ihrer älteren „Freundin“: „Sie sagt mir ihre Meinung, respektiert aber auch meine. Sie ist ein großes Vorbild für mich. Ich möchte einmal so werden wie sie.“