Gladbeck/Gelsenkirchen. . Gerichtspräsidentin Silvia Fleck: Die Zahl Fälle durch Krankenkassen nimmt rasant zu. „Ein ordnungsgemäßes Arbeiten ist nicht mehr möglich.“
Die Hilferufe aus dem Gelsenkirchener Sozialgericht im Justizzentrum Gelsenkirchen sind laut und deutlich. Kübelweise erreichen Klagen von Krankenkassen und Krankenhausträgern das Gericht. Die 19 Richterinnen und elf Richter können die Aktenberge, die in den Geschäftsstellen und auf ihren Tischen landen, nicht mehr bewältigen. „Ein ordnungsgemäßes Arbeiten ist nicht mehr möglich“, klagt Silvia Fleck, Präsidentin des Gerichts, das 1,15 Millionen Menschen in Gelsenkirchen, Bottrop, Herne und im Kreis Recklinghausen Rechtsschutz bietet.
Ausgelöst wurde die Klagewelle durch eine Änderung im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. Unter anderem wurde die Verjährungsfrist für Erstattungsansprüche der Krankenkassen von vier auf zwei Jahre verkürzt. Silvia Fleck: „Die Krankenkassen haben ihre Akten nach offenen Fällen durchforstet und wahllos an verschiedenen Sozialgerichten Klagen eingereicht.“ In der Regel befinden sich etwa 350 Fälle im Bestand jeder Kammer des Gelsenkirchener Sozialgerichts. Mit der Klagezunahme könnte die Zahl auf 1000 anwachsen. „Eine Arbeit“, sagt Fleck, „die nicht geleistet werden kann. Unser Apparat funktioniert nicht mehr.“
Die Zahl der neuen Verfahren erhöhte sich um 150 Prozent
Zunächst erhöhte sich der Eingang der Klagen im Bereich der Krankenversicherung auf 2255 (Vorjahr 1429). Hinter dieser Zahl verbergen sich zahlreiche Einzelansprüche, über die das Gericht entscheiden muss. Mittlerweile geht es um 3500 Verfahren. Das sind gegenüber dem Vorjahr 150 Prozent mehr.
Im November gingen beim Sozialgericht mehrere tausend Klagen gesetzlicher Krankenkassen gegen Krankenhausträger auf Rückzahlung bereits abgerechneter Krankenhauskosten ein. Im Dezember folgten zusätzlich 1500 Klagen von Krankenhausträgern gegen die Kassen. Weitere 1600 Klagen einer Krankenkasse werden per Zuweisung demnächst das Gelsenkirchener Gericht erreichen. Die Kasse hatte ihre Klageschrift bei einem Gericht eingereicht, das nicht zuständig war.
Präsidentin rechnet mit utopischen Verfahrenslaufzeiten
Sozialgericht Gelsenkirchen ist eines von acht in NRW
Das Sozialgericht Gelsenkirchen ist zuständig für die Städte Gelsenkirchen, Bottrop, Herne sowie den Kreis Recklinghausen mit zusammen 1,15 Millionen Einwohner. 30 Richter sind dort für die Sozialrechtsprechung tätig.
Das Gelsenkirchener Sozialgericht ist eines von acht Sozialgerichten in Nordrhein-Westfalen und in Gelsenkirchen an der Bochumer Straße 79 zu finden (Informationen und Kontakt unter 0209 148990).
Silvia Fleck bedauert, dass sich vor allem auch Klageentscheidungen zur Grundsicherung verzögern werden. Dies beträfe dann Menschen, bei denen es um existenzielle Fragen, ums Überleben gehe. Im letzten Jahr meldeten Kläger in 3007 Verfahren Ansprüche aus dem Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende an. Auch wenn die Arbeitslosenzahlen abnahmen, ist in diesem Rechtsgebiet ein Anstieg um acht Prozent zu verzeichnen. Die Klagen machen knapp ein Drittel aller 9331 Verfahren aus. Im Bereich der Pflegeversicherung (344 Verfahren) liegt der Anstieg ebenfalls bei acht Prozent.
Die Präsidentin prophezeit utopische Verfahrenslaufzeiten, auf die sich alle Kläger einstellen müssten. Bisher lag die durchschnittliche Prozessdauer bei 11,5 Monaten. Der Bestand zum Jahresende mit 9746 Verfahren führte bereits zu einer Mehrbelastung von 20 Prozent. In Gesprächen mit Experten aus dem Justizministerium will Silvia Fleck auf die extreme Belastungssituation hinweisen. Sie hofft auf Lösungen. Fleck: „Wir wollen auch weiterhin die Interessen der Bürger wie auch der Sozialleistungsträger an einem zügigen Verfahren wahren.“ Bisher sei aber nur eine einzige Stelle im nichtrichterlichen Bereich zusätzlich genehmigt worden. Der Krankenstand beträgt acht Prozent.