Gladbeck. . Nach dem Teil-Ausstieg des Ratsgymnasiums nehmen noch drei weiterführende Schulen Kinder mit Inklusionsbedarf auf. Die Leiter im Interview.
Nachdem das Ratsgymnasium beschlossen hat, die Inklusion zurück zu fahren und keine Schüler mehr mit dem Förderbedarf Lernen anzunehmen, nehmen nur noch drei weiterführende Schulen in der Stadt inklusive Kinder auf: Die Ingeborg-Drewitz-Gesamtschule, die Anne-Frank-Realschule und die Erich-Fried-Hauptschule. Die WAZ sprach mit den drei Schulleitern Alrun ten Have (IDG), André Luciga (Anne-Frank) und Peter Washausen (Erich-Fried) über Erfahrungen, Probleme und Wünsche.
Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit der Inklusion an Ihren Schulen?
Peter Washausen: Es ist schon ein anderes Arbeiten. Zudem werden die Schulen nicht so begleitet, wie es nötig wäre. Pro Zug haben wir eine halbe Förderstelle, aber in allen drei Klassen sitzen Kinder mit Inklusionsbedarf. 14 Stunden eines Kollegen müssen also auf drei Klassen verteilt werden. Das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
André Luciga: Unsere Erfahrungen sind gut. Das liegt auch an einer bislang guten personellen Ausstattung mit zwei Sonderpädagogen und einer von der Stadt zur Verfügung gestellten Schulhelferin. Unser Konzept sieht allerdings nicht in allen Fällen einen „gemeinsamen“ Unterricht vor, insbesondere in den Hauptfächern bleiben die Regelschüler unter sich, während die Inklusionskinder separat, aber klassenübergreifend und entsprechend ihres Bedarfs individuell gefördert werden.
Runderlass ist der Hintergrund des Ausstiegs
Hintergrund des Teil-Ausstiegs des Ratsgymnasiums aus der Inklusion ist ein Runderlass zur Neuausrichtung der Inklusion des NRW-Schulministeriums an den weiterführenden Schulen vom Oktober 2018.
Demnach ist die sonderpädagogische Förderung an Gymnasien zielgleich. Das heißt, dass nur diejenigen Schüler ein Gymnasium besuchen sollen, die die Eignung mitbringen, die Schule mit dem Abitur abschließen zu können.
Alrun ten Have: Wir sind damals in die Inklusion reingestolpert, hatten keine Vorreiter und mussten erst mal lernen, wie es funktioniert, Förderpläne oder Zeugnisse für die Schüler mit Inklusionsbedarf zu erstellen. Heute geht es eher darum, wie individuelle Probleme zu lösen sind.
Wo sehen Sie Probleme?
Washausen: Inklusive Klassen müssen anders geführt werden. Durch die kooperative Lernmethode steigt auch der Lärmpegel. Das geht auf die Gesundheit der Lehrer. Denn der Pegel steigt oft an die Grenze des Erträglichen. Inklusion ist auch stark von den Eltern abhängig. Da muss auch eine gute Beratung stattfinden. Denn nicht für jedes Inklusionskind ist es sinnvoll, an eine Regelschule zu gehen. Manchmal fällt aber auch erst spät auf, dass ein Kind eine besondere Förderung bräuchte. Dieses malt dann vielleicht in der siebten Klasse noch Bilder aus, während andere Schüler schon am Rechner sitzen.
ten Have: Die Inklusion ist eine zusätzliche soziale Aufgabe, die wir als Schule übernehmen. Die Schüler, bei denen ein Förderbedarf schon in der Grundschule festgestellt wird, sind nicht das Problem. Schwierig wird es bei denen, bei denen dieser erst spät festgestellt wird. Dann ist schon viel Zeit vergangen, die sinnvoll hätte genutzt werden können. Der Förderbedarf muss also früh erkannt und dann auch umgesetzt werden.
Wie beurteilen Sie die Entscheidung des Ratsgymnasiums und was bedeutet das für Ihre Schulen?
Washausen: Inklusion ist eine Aufgabe für alle. Es ist verkehrt, wenn Inklusion nur für bestimmte Schulen und Schulformen gilt. Ich vermisse die Solidarität der anderen Schulen. Mit dem Ausstieg des Ratsgymnasiums wird die Last jetzt auf noch weniger Köpfe verteilt.
Auch wir waren nicht erpicht darauf, Inklusion anzubieten und haben uns in der Vergangenheit vornehm zurückgehalten. Wir müssen uns aber auch solidarisch mit der Gesamtschule zeigen, die seit Jahren Kinder mit Inklusionsbedarf aufnimmt.
Luciga: Der Schulträger hat insbesondere am Ratsgymnasium viel Geld investiert, um das Gemeinsame Lernen zu ermöglichen. Wenn man einen Rechtsanspruch auf inklusive Beschulung ermöglicht, sollte das auch für alle Schulformen gelten. Das Gegenargument, ein Kind mit Förderbedarf kann kein Abitur machen, gilt auch für den Realschulabschluss. Kinder mit erheblichem Förderbedarf werden nie die Fachoberschulreife erlangen können. Dieser Sachverhalt ist aber für einige Eltern nicht eindeutig nachvollziehbar, sie gehen teilweise davon aus, dass der gleiche Schulort auch den gleichen Schulabschluss bedeutet. Die fehlenden Plätze am Ratsgymnasium werden es notwendig machen, weitere Schulen für das Gemeinsame Lernen einzurichten.
Was muss hinsichtlich der Inklusion besser werden?
Luciga: Wir sehen weiteren Bedarf an Differenzierungsräumen für den inklusiven Unterricht.
Washausen: Neben den schon angesprochenen fehlenden Lehrkräften ist auch die Elterninitiative von großer Bedeutung. Bei uns an der Schule ist sie auf einem niedrigen Niveau. Das möchte ich gerne ändern. Denn es ist schade und unverständlich, wenn die Kinder sich selbst überlassen werden. Das betrifft nicht nur die Schüler mit Inklusionsbedarf, sondern alle. Bei ersteren ist eine enge Kooperation aber noch mehr von Nöten. Oft ist sie aber nicht gegeben und dann nutzt die Förderung nur punktuell etwas.
Ich wünsche mir zudem eine intensivere Kooperation der Schulen untereinander. Das funktioniert schon ganz gut, da ist aber noch Luft nach oben. Wir können ja auch gegenseitig voneinander profitieren, wenn wir mal über den eigenen Tellerrand blicken. Denkbar wären zum Beispiel Hospitationen der Lehrer. Manchmal geht man Schritte aber nicht, weil sie ungewöhnlich sind.
>>> Bedauern auch im Schulausschuss
Der angekündigte Teil-Ausstieg des Ratsgymnasiums hat auch noch einmal die Mitglieder des Schulausschusses in seiner vergangenen Sitzung beschäftigt. „Der Beschluss des Ratsgymnasiums ist bedauerlich, da dort gute Ergebnisse erzielt wurden“, sagte Schuldezernent Rainer Weichelt. Dennoch müsse der Entschluss akzeptiert werden.
Fakt sei aber auch, dass die anderen Schulen nun stärker belastet würden. „Das ist das Prinzip ,Ich gebe mein Kreuz ab, und ihr tragt es für mich’“, so Weichelt.
CDU kann Entschluss nachvollziehen
„Es scheint modern zu sein, überall auszusteigen: Brexit, Klimaverträge, Inklusion“, stellte SPD-Ratsherr Volker Musiol fest. Wenn Inklusion angeboten werde, sei dies eine Aufgabe aller Schulformen. Wenn es nun eine Schulform gebe, die sich von der Inklusion weitgehend verabschiede, sei das zu bedauern. Zudem habe die Stadt als Schulträger alles getan, damit Inklusion vor Ort funktioniere. CDU-Ratsherr Michael Dahmen hingegen kann den Entschluss „sehr gut nachvollziehen“. Die CDU-Fraktion habe bereits bei den ersten Schritten zur Umsetzung der Inklusion, als IDG und Ratsgymnasium einstiegen, kritisch auf die Personalausstattung geschaut.
Das was mit der Inklusion erreicht werden wollte, sei personaltechnisch nicht gedeckt gewesen. „Die Schulen wurden alleine gelassen“, kritisierte Dahmen. Förderschulen haben sich nach Ansicht der CDU „bestens als Orte der sonderpädagogischen Förderung bewährt“.