Gladbeck. . Helga und Karl-Heinz Lippek wuchsen als Kinder von Bergmännern auf. Ehepaar erinnert sich an ein Aufwachsen im Krieg und Rollmöpse von der Bude.

Karl-Heinz Lippek wäre gerne in den Bergbau gegangen, hätte gerne unter Tage Seite an Seite mit Kumpeln malocht. „Da hat man schließlich gutes Geld verdient.“ Aber: Sein Vater ließ ihn nicht. „Ich schlag dich tot, wenn du da runter gehst“, warnte er. Also machte der junge Mann eine Ausbildung zum Betriebsschlosser.

Franz Lippek wusste schließlich genau, wie hart die Arbeit unter Tage ist, wie schwer er schuften musste auf Graf Moltke I/II. Das wollte er seinem Sohn ersparen. Der hat jedoch auch gute Erinnerungen an den Beruf seines Vaters. „Es war Krieg, und ich war froh, dass mein Vater Bergmann war. Er bekam zum Beispiel besondere Speisen.“ Selbstlos sei er gewesen. „Seiner Frau und seinen Kindern hat er das Brot überlassen“, weiß Helga Lippek zu berichten.

Vater erkrankte an Tuberkulose – und starb

Sie selbst lernte ihren Schwiegervater jedoch nie kennen. Keine 51 Jahre war er, als Steinstaub-Lunge bei ihm diagnostiziert wurde. Hinzu kam Tuberkulose. Ansteckend. Der Bergmann durfte nicht mehr arbeiten gehen, zu Hause musste der Sohn sein Zimmer räumen und das Elternhaus verlassen. Sein Vater brauchte ein eigenes Zimmer. „Ich habe meinen Vater sterben sehen, das ist grausam“, erinnert sich der 87-Jährige heute.

Hart hatte der Vater malocht, auch die ein oder andere „Panzerschicht“ hinter sich. Schichten, in denen er für das Land gearbeitet hatte. Als Lohn gab es einzig eine Flasche Schnaps. Der junge Karl-Heinz Lippek radelte dann mit einem Fahrrad bis nach Borken. Im Gepäck die Schnapsflasche. Beim Bauern wollte er diese gegen Lebensmittel eintauschen.

Doch er war nicht der einzige. „Hau ab“, riefen die Bauern dem Jugendlichen hinterher. „Vor Hunger habe ich mich aufs Feld gelegt und rohe Kartoffeln gegessen.“ Natürlich hatte die Familie – wie zu dieser Zeit üblich – im Garten Platz für den Anbau von Gemüse und Obst. Und für Kaninchen. „Die waren Lebensretter.“ Lippek selbst mochte die Tiere jedoch nicht essen. „Die taten mir so leid, ich habe ja auch immer Futter für sie besorgt.“

Unter Tage waren die Kumpel sicher

Oft erinnert sich Lippek an seinen Vater. Auch seine Frau ist Tochter eines Bergmanns. „Zu beneiden waren die Männer nicht“, sagt sie. Die 80-Jährige weiß aber auch: „Unter Tage waren die Kumpel sicher, wenn die Bomben abgeworfen wurden.“ Der Beruf ihres Vaters sorgte schließlich auch dafür, dass sie in einem Handwerksbetrieb eine Ausbildung zur Herrenschneiderin machen konnte. „Du kannst hier nur arbeiten, wenn du Kohle mitbringst“, hatte der Meister zu ihr gesagt. Die junge Frau brachte von zu Hause Deputatkohle herbei, heizte damit die Werkstatt.

Aus ihrer Kindheit sind ihr mit Blick auf den Bergbau besonders die schwarzen Ränder an den Augen und in den Handrillen der Malocher in Erinnerung geblieben. „Nur mit Fett kriegten sie den Kohlenstaub von der Haut.“ Einmal in der Woche bekamen die Bergmänner die Lohntüte an der Zeche ausgehändigt. „Dann ging es zur Bude – eine Flasche Cola und vier Rollmöpse kaufen.“

>>>>Helga Lippek nähte Bergbau-Hemden

Auf eine andere Art als ihr Vater und ihr Schwiegervater hat auch Helga Lippek selbst für Zechen gearbeitet. „Die Ruhrkohle-Industrie hat viele andere Unternehmen gefüttert“, sagt die 80-Jährige. Als Schneidermeisterin war Lippek für die Rheinbabenwerkstatt der Diakonie, eine Behindertenwerkstatt, tätig. Gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen nähte sie dort jährlich 22.000 Bergbau-Hemden. „Bei diesen war es nicht so wichtig, dass jede Naht ganz akkurat genäht wird.“

Ein Bild aus Kohlenstaub bekam Helga Lippek für ihre Arbeit in der Rheinbabenwerkstatt geschenkt.
Ein Bild aus Kohlenstaub bekam Helga Lippek für ihre Arbeit in der Rheinbabenwerkstatt geschenkt. © Heinrich Jung

In ihrer Arbeit setzte die Gladbeckerin sich besonders für ihre Lehrlinge ein. „Mein Motto war: nicht nur sauber, satt und trocken, sondern auch fordern und fördern. Damit war ich damals ein Exot.“ Genau erinnert Helga Lippek sich noch an einen jungen, begabten Autisten, der bei ihr in Ausbildung war. „Er konnte besser nähen als die Lehrlinge draußen in den Betrieben.“

Ihr Einsatz hatte auch einen privaten Hintergrund: Der Sohn des Ehepaares kam gehörlos zur Welt. „Wir haben ihn gefördert, heute ist er Tischler bei Siemens.“

Als Anerkennung für ihre Arbeit in der Rheinbabenwerkstatt bekam Helga Lippek später eine Grubenlampe und ein Bild aus Kohlenstaub geschenkt. „Es hat einen Ehrenplatz bekommen.“ Es hängt im Esszimmer des Ehepaares an der Wand.