Wie aus dem Kumpel wider Willen ein Steiger von Herzen wurde
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Gladbeck. . Hans-Werner Schrödl war Steiger auf Mathias Stinnes und Nordstern. Als junger Mann entschied er sich aus der Not für die Arbeit unter Tage.
Bergmann sein – das wollte Hans-Werner Schrödl eigentlich gar nicht. „Ich wäre gerne Maler oder Anstreicher geworden, auf jeden Fall wollte ich etwas mit Farben machen“, sagt der Braucker. Doch das Geld ist knapp. Der Vater bereits an Dramkrebs gestorben, die Mutter muss für die kleine Familie mit 52 Mark Rente wirtschaften. „Allein die Miete kostete schon 20 Mark.“ Um seine Mutter unterstützen zu können, entscheidet sich der junge Gladbecker für die gut bezahlte Arbeit im Bergwerk. Und damit für viel Schwarz statt leuchtender Farben.
Auf der Zeche Mathias Stinnes 3/ 4 in Brauck beginnt er 1952 als Berglehrling. „An meinem 16. Geburtstag bin ich das erste Mal unter Tage eingefahren“, erinnert sich Schrödl.
Drei Mal in der Woche geht es zur Bergschule
Als 18-Jähriger macht er die Knappenprüfung. Doch für den ehrgeizigen jungen Mann ist das nicht genug. Nach der Arbeit geht er drei Mal in der Woche zur Bergschule. Die Entscheidung war gut überlegt, denn: „Die Uniformen waren teuer, fast 240 Mark.“ Bei einem Monatslohn von etwa 200 Mark viel Geld.
Hans-Werner Schrödl heiratet. Mit seiner Frau Henny sucht er eine Wohnung. „Als Bergmann war es deutlich leichter, eine Wohnung zu finden.“ Das Paar bekommt zwei Kinder.
1968 fährt er das erste Mal als Steiger auf Mathias Stinnes ein. „Von da an wollte ich Bergmann bleiben.“
Wechsel zur Zeche Nordstern
Als die Zeche stillgelegt wird, verlieren viele Kumpel ihre Arbeit. Auch Hans-Werner Schrödl muss sich etwas Neues suchen. „Das tat weh, als auf Mathias Stinnes Schluss war“, sagt der 80-Jährige heute. Er wechselt zur Zeche Nordstern. Dort kennt er viele Kumpel noch aus Gladbecker Zeiten.
Allzu fremd ist ihm die neue Arbeitsstätte daher nicht, er lebt sich schnell ein. Als Seilbahningenieur sorgt er dafür, dass benötigtes Material mit der Einschienenhängebahn zu den Abbaugebieten befördert werden kann. Er wartet die Bahn, tauscht die Seile aus. Der Braucker malocht hart unter Tage. „Ich war immer fleißig. Hatte niemals eine Fehlschicht.“ Wenn er abends nach einer Schicht gerade auf dem Sofa sitzt und das Telefon klingelt, „da bin ich natürlich da, wenn ich gebraucht werde.“
Im Juli steht ein Klassentreffen an
Wenn Schrödl erzählt, von seinem Beruf, den Kumpeln, ist seine Begeisterung für den Bergbau noch heute zu spüren. „Fängt mein Mann einmal an, hört er gar nicht mehr auf zu erzählen“, sagt seine Frau Henny.
Zu seinen Kollegen aus der Bergschule hat der Rentner noch heute Kontakt. Mit den noch acht lebenden Männern aus seiner Abschlussklasse trifft sich Schrödl im Juli zum Klassentreffen. „Zuletzt haben wir uns vor fünf Jahren gesehen.“ Nirgends gebe es so eine Kameradschaft wie unter Kumpeln. „Da lässt niemand den anderen je im Stich.“ Auch er ließ den Bergmann nicht im Stich, der bei einem Unfall unter Tage seinen Unterschenkel verlor und zu verbluten drohte. „Mit meinem Hemd habe ich sein Bein abgebunden und ihn gestreichelt.“ Bis Hilfe kam. „Der Kumpel wäre sonst verblutet.“
In Rente mag der Steiger nicht gehen
Mit 51 Jahren geht Schrödl 1988 in Rente. „Obwohl ich das gar nicht wollte. Doch ich musste Platz für einen Jüngeren machen.“ Das bevorstehende Aus des Bergbaus im Ruhrgebiet, klar, das bedauert ein echter Bergmann wie Hans-Werner Schrödl. „Das Ende hat wirtschaftliche Gründe“, ist er sich sicher. „Eine Tonne Kohle aus China ist doch viel günstiger.“
Seit fast 30 Jahren fährt Hans-Werner Schrödl nicht mehr ein. War seitdem nie wieder unter Tage. Doch die Heilige Barbara – die Schutzpatronin der Bergleute – ist auch heute nicht aus seinem Wohnzimmer wegzudenken. In einer Spurlatte – der Balken, an dem der Förderkorb im Schacht geführt wird – steht die Schutzpatronin als Figur auf ein paar Brocken Kohle. Zum 50. Geburtstag bekam der damalige Steiger sie von einem Kumpel geschenkt. „Da bin ich sehr stolz drauf.“
An den Bergbau hat der 80-Jährige viele Erinnerungsstücke gehabt. Nur irgendwann nicht mehr genügend Platz für all die Andenken. Einige Stücke hat er behalten, und so sieht derjenige, der die Wohnung des ehemaligen Steigers betritt, spätestens im Esszimmer, dass dort ein wahrer Bergmann wohnt.
Nur noch ein kleiner Teil der Sammlung
In einem Schrank hat er mehrere Steigerfiguren und kleine Loren aufgebaut. Darunter ein Wettermann. „Glück auf“ ist in den Sockel der Figur eingebrannt. „Der Wettermann ist einer der wichtigsten Leute im Bergbau“, sagt Schrödl. Jede Nacht fuhren sie an, untersuchten die Orte mit ihren Benzinlampen nach Gas. Auch Schrödl hat eine kleine Benzinlampe in seinem Schränkchen stehen. „Das ist nur noch ein winziger Teil meiner Sammlung“, so der einstige Steiger.
Die Entscheidung des junger Mannes gegen Farben und für schwarze Kohle, sie hat sich doch gelohnt. „Ich war gerne Bergmann.“
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