Gladbeck. . Ehrenamtliche Helfer packen beim Auszug mit an. Viele wünschen, dass die Kirchengemeinde weiter eine Heimat in der ehemaligen Markuskirche hat.
Luther ist noch nicht weg. Er steht weiter als bunte Kunstfigur in der Garderobe, blickt ernst von Bildern und Porträts, sendet seine Botschaften in Leuchtschrift von der Wand. Der Geist des Reformators, der das ambitionierte Kultur- und Bildungsprojekt Martin Luther Forum Ruhr in der ehemaligen Markuskirche zehn Jahre lang geprägt hat, ist in jeder Nische spürbar.
Noch. Das Schild am Eingang wurde schon abmontiert, viele Bilder sind bereits abgehängt und Vitrinen ohne Inhalt. An diesem Freitagnachmittag sind an die 20 Ehrenamtliche dabei, das Gebäude an der Bülser Straße weiter leer zu räumen.
Künftig werden an der Bülser Straße Sprach- und Schulkurse der VHS stattfinden
Alles muss raus, angefangen von den Tassen und Stühlen des Cafés über die Bücher im Turmladen bis zu den wertvollen Gegenständen der Ausstellung „Reformation und Ruhrgebiet“. Selbst der Wasserfall, das prägende Kunstobjekt im Eingang von Pater Abraham, wird nicht bleiben können. Künftig sollen an der Bülser Straße Sprachkurse für Flüchtlinge und Schulabschlusskurse der VHS stattfinden.
Doris Vogel kämpft mit den Tränen. Sie hat als Ehrenamtliche in der Arbeitsgruppe Bildung Schulklassen und Besucher durch die Ausstellung geführt, Filme gezeigt, das Projekt mit dem Bottroper Josef-Albers-Gymnasium betreut . . . „Das war alles auch persönlich bereichernd. Es gab viel positiven Feedback für das Engagement und viele hochrangige Referenten und Gäste kamen zum Luther Forum, die man sonst nie erlebt hätte. Dass das alles nun alles vorbei sein soll, „ist schlimm“, sagt sie leise.
Friedel Maini weiß nicht, wo sich die Frauenhilfe künftig treffen wird
Friedel Maini (79) bewegt eine andere Frage. Die Vorsitzende der Frauenhilfe der Kirchengemeinde Ost packt gerade über ein Dutzend Gesangbücher aus einem Schrank im Keller in eine große Tasche. Die brauchten sie ja bei den Treffen alle vierzehn Tage. „Wir hatten hier immer einen Raum, den wir nutzen konnten“, sagt sie. Wo sie sich künftig treffen werden? Friedel Maini zuckt mit den Schultern. Das weiß sie nicht. „Wir waren ja froh damals, als die Kirche geschlossen wurde und nicht an einen Rockschuppen vermietet wurde, sondern an das Luther Forum“, sagt sie. Damit hatten die Mitglieder der Kirchengemeinde Ost weiter eine Heimat in der Kirche, auch wenn diese keine mehr war. Aber im künftigen Nutzungskonzept, bei dem die Stadt der Vermieter ist, scheinen Aktivitäten der Kirchengemeinde nicht vorgesehen zu sein.
Die Gemeinde müsste doch weiterhin einen Platz in der ehemaligen Markuskirche haben
Auch Maria Beyer (90) ist ratlos. Die Ehefrau des ehemaligen Pfarrers Kurt Beyer, der von 1958 bis 1986 in der Gemeinde wirkte, hat Thermoskannen und Tischdeko in ihre Tasche gepackt. „30 Jahre lang haben wir die 70. Geburtstage von Gemeindemitgliedern hier gefeiert“, sagt sie. Dass das nicht mehr möglich sein soll? „Das ist traurig.“ Ihr Wunsch: „Ich würde es gut finden, wenn die Stadt der Gemeinde hier weiter einen Raum überlassen würde“.
Am Platz dürfte das eigentlich nicht scheitern. Es gibt zahlreiche Räume im ehemaligen Luther Forum, allein für die Ausstellung mit den vielen Exponaten wurden einige gebraucht. Und eigens für diesen Zweck wurden spezielle Wandvitrinen eingebaut, dazu sogenannte „Laternen“ mit Beleuchtung gefertigt, in den Boden „Fenster“ eingelassen, Glastüren beschriftet, ein Regenbogen-Objekt installiert . . . . Überhaupt gibt es gibt viel Beleuchtung in diesen Räumen und Vitrinen, ganz im Sinne Luthers, der mit seinen Gedanken Erleuchtung bringen wollte. Wird das alles auch abgebaut? Martin Grimm, der das alles mal initiiert hat, geht davon aus.
Initiator des Luther Forums hält Folgenutzung für einen „schlechten Deal“
Der Initiator und Kopf des ambitionierten Kulturforum-Projekts, Dr. Martin Grimm, erfuhr von der künftigen Nutzung des ehemaligen Forums selbst erst aus der Presse. Mit einer abschließenden Bewertung hält er sich zurück, „weil der Prozess noch läuft“, will die Vorgänge jedoch nicht unkommentiert lassen.
Die Arbeitsgruppe mit Vertretern der Stadt, Kirche, Bezirksregierung, Träger- und Förderverein, moderiert von Wolfgang Pantförder (ehem. Bürgermeister RE) hat eine Lösung gefunden. Ist das in Ihrem Sinne?
Martin Grimm: Ich habe das intransparente Prozedere der AG-Pantförder (keine Protokolle) mehrfach kritisiert. Ein entwickeltes Ergebnis der Arbeitsgruppe gibt es nicht. Die Folge des „Deals“ zwischen Stadt und Kirchengemeinde ist, dass Qualitäten und erhebliche Werte vernichtet werden. Der Charakter des spirituellen Kulturortes wird zerstört. Zudem kommen erhebliche Kosten für den Umbau für die Folgenutzung auf die Stadt zu.
Was war Ihr Ansatz als Mitglied der Arbeitsgruppe?
Ich habe an den letzten drei Besprechungen nicht teilnehmen können, war beruflich verhindert bzw. im Urlaub. Meine Position war logischerweise: Erst die Parameter für eine Folgenutzung entwickeln, dann einen öffentlichen kreativen Workshop moderieren, der eine Gelegenheit für Kultur-Engagierte (Musik, Theater, Literatur) gewesen wäre, sich und ihre Ideen (z.B. eine Mischnutzung) einzubringen. Der Workshop war übrigens von Pantförder zugesagt.
Die Kirchengemeinde ist aber doch zufrieden?
Ich kann nicht für die Kirchengemeinde sprechen. Als Gemeindemitglied Mitte-Ost bin ich schwer enttäuscht. Eine wesentliche Voraussetzung bei der Übernahme der Markuskirche durch das Luther Forum 2008 war die Aufrechterhaltung der örtlichen Präsenz der Kirchengemeinde. Diese wird jetzt aufgegeben, anders als z.B. beim Lukastreff Butendorf.
Welche Rolle spielt der Förderverein?
Dazu kann ich nichts sagen. Er hat einen eigenen Vorstand, eine eigene Verantwortung. Nur so viel: Das ist im Hinblick auf die vielen treuen Mitstreiter ein sehr unglückliches Verhalten.
Ihre Einschätzung zur Nutzung?
Wir stehen vor einem Scherbenhaufen. Das ist keine adäquate Folgenutzung des Luther Forums. Seit 2014 bzw. 2015 waren wir mit der Kirche bzw. der Stadt im Gespräch. Das Ergebnis nach drei bis vier Jahren ist ein schlechter „Deal“, der definitiv nicht im Sinne des Forums und der Mitglieder des Fördervereins ist. Erst wurde dem Lutherforum eine angemessene Unterstützung verweigert, dann wird die denkmalgeschützte, rausgeputzte Markuskirche in Ost ihrem Schicksal überlassen.