Gladbeck. . Einen Tag hat unser Autor am Amtsgericht Gladbeck verbracht. Er verfolgte sechs Verfahren und sah in menschliche Abgründe. Hier seine Geschichte.
Ein Tag im Gladbecker Amtsgericht: Gleich sechs Verfahren waren terminiert, ein wahrlich ehrgeiziges Programm für Einzelrichterin Petra Stratmann, Staatsanwalt Wolfgang Lau und Justizangestellte Melanie Weidner. Und ganz und gar nicht alltäglich: Alle sechs Verfahren gingen über die Bühne und endeten mit einem Urteil.
Betrug zu Lasten des Jobcenters
Den Auftakt machte um 8.45 Uhr eine Betrugssache zu Lasten des Jobcenters. Der 40-jährige türkische Angeklagte hatte Arbeitslosengeld kassiert, ohne der Behörde seine Tätigkeit im Gerüstbau mitzuteilen. Der Beschuldigte zeigte sich einsichtig, gestand in vollem Umfang und akzeptierte ohne Murren das Urteil: eine Geldstrafe in Höhe von 1200 Euro, zahlbar in 60 Raten à 20 Euro plus Kosten des Verfahrens.
Signatur unter Vertrag gefälscht
Schon nach einer Viertelstunde die zweite Sache, erneut stand betrügerisches Verhalten zur Verhandlung an. Aygün G. war für einen großen Energieversorger auf der Suche nach neuen Kunden. Mit einem potenziellen Interessenten führte er Erfolg versprechende Gespräche, der neue Vertrag schien unter Dach und Fach, das Formular schon ausgefüllt, allein: Es fehlte die Unterschrift des „Neuen“, der auch plötzlich nicht mehr wollte.
„Ich stand mächtig unter Druck,“ so der Beschuldigte. Für die fehlende Signatur habe er dann selbst gesorgt, bekannte er reumütig. Alles wurde auf Null gesetzt, ein Schaden entstand nicht. Für den Angeklagten schon, ihn „verdonnerte“ die Richterin zu einer Geldbuße in Höhe von 900 Euro, zu zahlen an „Ärzte ohne Grenzen“. Der Angeklagte verzichtete auf Revision, exakt um 9.20 Uhr war das zweite Urteil unter Dach und Fach.
Diebstahl unter Freunden bleibt zweifelhaft
Im dritten Verfahren wurde es knifflig, trotz des harmlos daherkommenden Delikts „Diebstahl“ nach § 242 StGB. Marc B., der Mann auf der Anklagebank, sollte eine gute Bekannte um nicht weniger als 1800 Euro „erleichtert“ haben, und nicht nur das: Das Ganze soll sich in deren Wohnung ereignet haben. Der Angeklagte wies den Vorwurf weit von sich, rekonstruierte mit Hilfe seines Anwalts Koch minuziös den Ablauf in dem Domizil der Freundin, in der zeitgleich auch seine Frau sowie eine weitere Freundin der Geschädigten weilten.
Auch nach den Aussagen zweier Zeugen blieb der genaue Tatablauf nebulös, das Durcheinander auf dem großen Esstisch der Wohnung, auf dem etliche Dokumente, Ordner, ein Tablett, Wäsche und auch eine Geldtasche flächendeckend herumlagen, schien symbolhaft die Schwierigkeit der Beweisführung zu dokumentieren. Am Ende kam es, wie es kommen musste: Indizien durchaus, eine konsistente Beweisführung nie und nimmer, das Urteil daher: Freispruch auf Kosten der Landeskasse, in dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten.
Selbstbefriedigung am geöffneten Fenster
Dafür waren im folgenden Prozess nackte Tatsachen angesagt, leider im wörtlichen Sinne: Ein Exhibitionist hatte sich vor seiner Nachbarin selbst befriedigt, in seinem Badezimmer und das bei geöffnetem Fenster. Das auch schon zum zweiten Mal, wie die Mutter zweier Kinder dem Gericht noch sichtlich mitgenommen versicherte. Als sie ihre Freundin rief, die den Vorgang per Foto festhalten sollte, schloss der 47-jährige Gültekin M. das Fenster, hinter der Glasscheibe machte er jedoch unverdrossen weiter.
Amtliche Stelle für Bürgerangelegenheiten
Nicht nur Strafverfahren sind Sache des Amtsgerichts. Bürger können hier u. a. ihren Kirchenaustritt erklären, Einsicht ins Grundbuch erhalten, Erbangelegenheiten regeln, Wertsachen und Urkunden hinterlegen.
Auch für Insolvenz- und Zwangsversteigerungen ist das Amtsgericht zuständig.
Völlig uneinsichtig berief er sich auf „seine Privatsphäre“, die er jedoch weit hinter sich ließ, als er wenig später pornografische Bilder im Garten des Opfers auslegte. Der einschlägig Vorbestrafte, dessen Bewährung gerade abgelaufen war, wich von seiner Version keinen Jota ab, die Richterin hatte jedoch nicht den geringsten Zweifel am Sachverhalt. Urteil: Sechs Monate Freiheitsstrafe, vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt, zusätzlich 600 Euro Geldstrafe, zu zahlen an den Kinderschutzbund.
Keinen Unterhalt gezahlt - Urteil in Abwesenheit
Im nächsten Verfahren ging es um Verletzung der Unterhaltspflicht. Lars Y. versäumte nicht nur die Zahlungen an seine Familie, sondern auch den Gerichtstermin. In Abwesenheit verurteilte ihn Richterin Stratmann zu 50 Tagessätzen à 15 Euro, eine polizeiliche Überführung aus Bremen, wo der Angeklagte zurzeit wohnt, wäre zu kostenintensiv.
Drogenabhängiger Dieb klaute, was er kriegen konnte
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Zum Abschluss wurde es noch einmal spektakulär. Der Angeklagte Patrick G. wurde aus der JVA Essen überführt, nach Verlesen der Personalien strapazierte eine ellenlange Liste von Diebstahlfällen die Geduld der Anwesenden. Ob Rauchwaren, Kosmetika, Alkoholika oder Kleidung: Nichts, was der erheblich Vorbestrafte nicht „brauchen“ konnte, um seine Heroin- und Kokain-Sucht zu stillen.
Der Bericht des Gutachters legte die typische Biografie eines Abhängigen dar, der auch mit großen Anstrengungen den Teufelskreis der Sucht nicht durchbrechen kann. Da der Angeklagte voll geständig war, konnte auf die Anhörung der beiden Zeugen verzichtet werden. Urteil: 2,5 Jahre Haft, anschließend Heimunterbringung mit Therapie. „Er hat noch diese eine Chance es zu schaffen. Hoffentlich nutzt er sie,“ so seine Anwältin Scott-Völker.