Gladbeck. . Der 66-Jährige litt an Herzinsuffizienz – er überlebte dank eine Organspende. Doch bis zur Transplantation erlebte er viele Rückschläge.
Michael Kolmars Frau Gabi hatte schon einen Palliativ-Platz besorgt. Eine oder zwei Wochen geben die Ärzte ihm da noch zu leben. Diagnose: eine fortschreitende Herzinsuffizienz. „Ein Virus oder eine verschleppte Erkältung können dazu führen, bei mir war es erblich bedingt“, sagt der 66-Jährige. Als Minister-Büroleiter arbeitet er 70 Stunden in der Woche. „Das hat meine Krankheit drastisch verschlimmert.“
Anfang 2010 setzen die Ärzte den gebürtigen Gladbecker auf die Warteliste von Eurotransplant, eine Stiftung, die als Service-Organisation verantwortlich für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäischen Ländern ist. Das Warten beginnt. Ein dreiviertel Jahr verbringt der Erkrankte auf der Intensivstation, die Leistungsfähigkeit seines Herzens fällt auf unter zehn Prozent herab. „Ich konnte nicht mehr laufen, mich nicht mehr richtig hinsetzen.“ Am schlimmsten aber ist: das Warten.
Die Ärzte haben ein Herz gefunden
Im Oktober dann die vermeintliche Erlösung. Die Ärzte haben ein Herz gefunden. Kolmar wird auf die Operation vorbereitet, zum OP-Saal gebracht, bekommt Beruhigungsmittel. Kurz vor der Transplantation bemerken die Mediziner: das Herz passt nicht. Die Nachricht ist ein Schock. Ein Rückschlag in einer Zeit des ständigen Hoffens. „Ich wollte das Krankenhaus verlassen, dachte, ich bekomme nie wieder ein Herz.“
Doch Michael Kolmar bleibt. Den ganzen Tag liegt er im Bett. Seine Frau ist von morgens bis abends bei ihm. Jede Woche schauen die Ärzte über eine Kathederuntersuchung, ob sich die Werte des Beamten verbessern. Ein Professor macht eine Fehlmessung, plötzlich scheinen die Werte besser.
Fehlmessung wirft ihn von der Warteliste
Kolmar fliegt von der Warteliste. „Das war das zweite Mal, dass ich dachte, jetzt geht es nicht weiter“, erinnert er sich. Doch die Fehlmessung wird erkannt, der Beamte kommt wieder auf die Liste, die ihm immerhin die Chance auf ein neues Organ gibt. Angst vor dem Tod hat der 66-Jährige nicht. „Ich hatte mein Testament gemacht, mit meiner Frau und meiner Tochter alles geregelt.“
Rekordtief bei Organspenden
Die Zahl der Organspender liegt auf einem Rekordtief. Im vergangenen Jahren waren in Nordrhein-Westfalen nur noch 146 Spender gemeldet.
Experten fordern daher eine Widerspruchsregelung in Deutschland. Sie sieht vor, dass jeder Bürger Organspender wird, der dem nicht ausdrücklich widerspricht.
Eine solche Regelung gibt es etwa in Spanien, Österreich und den Niederlanden.
Als die Nachricht kommt, dass ein Herz für ihn gefunden ist, kann Kolmar das gar nicht mehr ernstnehmen. „Eher beiläufig habe ich meiner Frau davon am Telefon erzählt.“ Doch am Abend ist es soweit. Das Organ wird aus Gießen eingeflogen. „Ich habe nur einige Grunddaten, von wem das Herz stammt.“ Es gehörte einer Frau, rund 20 Jahre jünger als er.
Kolmar feiert zwei Mal im Jahr Geburtstag
Mit dem fremden Herzen in der Brust lebt es sich nicht anders, ein komisches Gefühl ist es nicht, findet Kolmar. „Ich fühle mich auch nicht weiblicher“, sagt er und lacht. Der Tag, an dem der 66-Jährige sein neues Herz bekommt, ist seitdem ein besonderer. „Am 19. Januar feiere ich jetzt immer meinen zweiten Geburtstag.“
Kontakt zu den Hinterbliebenen der Frau möchte er nicht aufnehmen, obwohl er es erst überlegt hatte, seinen Dank aussprechen wollte. „Ich möchte kein Unheil stiften, ich weiß ja auch nicht, wie sie ums Leben gekommen ist.“
20 Medikamente pro Tag
Auch Michael Kolmars Leben hat sich verändert. Er muss seit der Transplantation Medikamente nehmen, 20 verschiedene pro Tag. Er ist 80 Mal mehr gefährdet, an Krebs zu erkranken als zuvor. Hinzu kommt eine Nierensuffizienz, inzwischen ist sie chronisch. „Zur Dialyse muss ich noch nicht gehen, aber das ist meine größte Sorge. Es soll schließlich nicht das nächste Organ flöten gehen.“
Nach der Tranplantation folgt die Reha. Endlich wieder zu Hause, findet Michael Kolmar in einem kleinen Moment unglaublich viel schönes. Er sitzt mit seiner Frau im Garten, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. „Ich war das erste Mal wieder in Freiheit. Das war für mich der schönste Moment seit langer Zeit.“
>>>>> Zwei Gladbecker berichten: Rita van Treeck hat seit vielen Jahren einen Ausweis, Bernd Murrenhoff möchte einen anschaffen
Ein enger Freund von Rita van Treecks Familie hatte lange auf eine neue Niere gewartet. Vergebens. Vor zwei Jahren starb er. Die 36-Jährige weiß also wie es ist, jemanden aus seinem Umfeld zu verlieren, der durch ein gespendetes Organ wohl hätte überleben können. Die gelernte Zahnarzthelferin hat sich jedoch schon viele Jahre vorher mit dem Thema auseinandergesetzt. Seit 2006 hat sie einen Organspendeausweis. „Die Organe verrotten sowieso in der Erde, wenn ich tot bin. Warum sollte ich sie also nicht spenden?“
Augen, Haut und Herz hat sie von der Organspende ausgeschlossen. Die vielgehegte Scheu, dass Ärzte einen Menschen mit Organspendeausweis nicht mit dem gleichen Bemühen retten würden, wie jemanden ohne Ausweis, teilt sie nicht. „Zwei unabhängige Ärzte müssen schließlich den Tod feststellen.“ Den scheckkartengroßen Ausweis trägt die Rentforterin immer in ihrem Portemonnaie bei sich.
Zweckeler möchte sich einen Ausweis anschaffen
Dass jemand keinen Organspendeausweis hat, das kann sie so gar nicht verstehen. Viele seien dagegen, bis sie selbst betroffen sind oder in der eigenen Familie jemand ein Organ braucht. „Dann ändert man seine Meinung ganz schnell.“ Van Treeck: „Wenn ich krank wäre, wäre ich auch froh, wenn ich ein gespendetes Organ bekäme.“
Das Thema Organspendeausweis stand in Bernd Murrenhoffs Leben lange nicht auf der Tagesordnung. „Ich war beruflich stark eingespannt“, sagt der Zweckeler. Im Ruhestand möchte der 65-Jährige das nun ändern: „Ich werde mir jetzt einen Organspendeausweis organisieren“, sagt er.
Bisher habe er es immer versäumt, sich darum zu kümmern. Doch: „Wenn man die Möglichkeit hat, durch den eigenen Tod einem anderen Menschen das Leben zu schenken, ist es doch das schönste Geschenk, das man machen kann.“ Egal ob der eigene Körper nach dem Tod verwese oder im Feuer verbrenne, es bleibe schließlich eh nichts übrig.
„Jeder ist in seiner Entscheidung frei“
Eine Regelung wie etwa in Spanien oder den Niederlanden – dort wird jeder über 18 Jahren automatisch Spender, solange er nicht widerspricht – hält er für sinnvoll. „Die meisten verhalten sich passiv, haben aber nichts dagegen. Eine Widerspruchsregelung würde vielen Menschen helfen.“ Dass sich jemand gegen einen Organspendeausweis entscheidet, kann Murrenhoff verstehen. „Jeder ist in seiner Entscheidung frei. Das muss jeder für sich entscheiden.“
Bernd Murrenhoff war beruflich viel in der Welt unterwegs. Dabei lernte er auch einen japanischen Geschäftspartner kennen, der nierenkrank ist. „In der japanischen Kultur ist es untersagt, gespendete Organe anzunehmen.“ So hatte sein Geschäftspartner immer ein Dialysegerät dabei. „Selbst im Flugzeug.“ Murrenhoff ist überzeugt: „Wenn die Tradition ihm das nicht untersagt hätte, hätte er auf eine Organspende gesetzt. Aber so wäre er geächtet worden.“