Gladbeck. . Gladbecker Migrantenvertreter und Ratsleute lehnen den Vorstoß des Integrationsministers ab. Sie setzen auf die Selbstbestimmung junger Mädchen.
Der Integrationsrat spricht sich gegen ein Kopftuchverbot für junge Mädchen unter 14 Jahren aus. So lautet das Ergebnis einer Diskussion im Gremium, die teils auch kontrovers geführt wurde.
Hintergrund: Anfang April hatte Serap Güler, Staatssekretärin im Familien- und Integrationsministerium NRW, in einem Interview Kopftücher für junge Mädchen als „pure Perversion“ bezeichnet, die es zu verhindern gelte.
Integrationsminister will Kopftuchverbot prüfen
Unterstützung bekam sie vom Landesintegrationsminister Joachim Stamp (FDP): „Selbstverständlich soll jede Frau selbstbestimmt entscheiden, ob sie Kopftuch trägt oder nicht. Diese Selbstbestimmung ist bei Kindern noch nicht vorhanden. Sie dürfen daher nicht dazu gedrängt werden.“ Es solle geprüft werden, ob ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren sinnvoll und möglich sei.
Die Fraktion der „Alternativen Bürger Initiative“, kurz ABI, hatte im Vorfeld der Integrationsratssitzung eine Resolution gegen ein solches Verbot gefordert, mit Verweis auf die Religionsfreiheit. Dem Argument stimmten die Mitglieder grundsätzlich zu.
Integrationsrat verfasst Brief an den Minister
Gemeinsam entwarfen sie einen Brief an den Integrationsminister. Darin verweisen die Migrantenvertreter und Ratsleute vor allem auf die Rolle der Aufklärung. „Ein gutes Zusammenleben setzt gegenseitiges Vertrauen voraus“, heißt es in dem Entwurf.
„Das allerhöchste Gut ist die Freiheit der Entscheidung“, sagte der für Integration zuständige Erste Beigeordnete Reiner Weichelt. Er erinnerte mit einem Augenzwinkern an die Nachkriegszeit, als viele Frauen im Ruhrgebiet Kopftuch trugen – nicht aus religiösen Gründen, sondern um sich vor Staub zu schützen.
Weichelt will Debatte fördern
Diese Zeit ist längst vorbei. Und davon, dass kleine Mädchen in Kindergarten oder Grundschule ihr Haupt verhüllen, ist Gladbeck weit entfernt. Ganz im Gegenteil: Eine Umfrage der Stadtverwaltung habe gezeigt, dass in keiner Gladbecker Kita und in keiner Grundschule muslimische Mädchen Kopftücher trügen, so Weichelt.
Nicht nur, dass er in Gladbeck keinen Handlungsbedarf sehe – er glaube auch nicht, dass ein Verbot rechtlich überhaupt möglich wäre. Allerdings sei eine Debatte durchaus zu begrüßen.
Akcay: Kinder müssen vor Druck geschützt werden
Österreich will ein Kinderschutzgesetz
Die aktuelle Diskussion hat ihren Ursprung in Österreich. Dort hat die Regierung Anfang April eine Vorlage für ein „Kinderschutzgesetz“ angekündigt, die Mädchen das Tragen von Kopftüchern in Kindergarten und Grundschule verbieten soll.
Die Argumentation der Befürworter: muslimische Kinder sollten vor Diskriminierung geschützt werden. Gleichzeitig gehe es aber auch darum, Parallelgesellschaften entgegen zu wirken, sagte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
Ob im Nachbarland tatsächlich viele Mädchen bereits vor der Pubertät Kopftuch tragen, ist unklar, denn konkrete Zahlen nannte die Regierung nicht.
Dem stimmten die Mitglieder des Integrationsrats zu, wenn auch aus verschiedenen Blickwinkeln. Einzige Fürsprecherin für ein Verbot war Nilüfer Akcay, die versuchte, eine Position zwischen ihrer persönlichen Sicht und ihrer politischen Haltung als Liberale zu formulieren.
„Der Schutz der Kinder geht über alles“, sagte sie, weshalb sie persönlich für ein Kopftuchverbot für Kinder sei, eine Haltung, die mit der des FDP-Ministers übereinstimme. „Das bedeutet, dass ich nicht gegen das Kopftuch bin, sondern für die Möglichkeit, dass sich erwachsene Frauen selbst dafür entscheiden können.“
Als Vertreterin der Gladbecker Lebendigen Alternative (GLA e.V.) könne sie jedoch durchaus verstehen, wenn junge Mädchen ein Kopftuch tragen wollten. Letztenendes ginge es bei einem Verbot jedoch um den Schutz von Mädchen, die nicht aus freien Stücken ihr Haar bedeckten.
Migrantenvertreter fürchten Vorbehalte gegen Islam
Mit der Freiwilligkeit argumentierte Fatma Cun (ABI) gegen ein Verbot. Ihre elfjährige Tochter trage auf eigenen Wunsch seit dem Wechsel auf die weiterführende Schule ein Kopftuch – obwohl ihre Mutter es anders vorlebe. „Ihr den freien Willen zu nehmen, fände ich falsch“, sagte Cun.
Habib Ay, ebenfalls ABI, befürchtet, dass eine Diskussion um das Thema Kopftuch zur Spaltung der Gesellschaft beitragen könnte. „Haben wir keine anderen integrationsrelevanten Themen“, fragte er. Ein Kopftuchverbot für Kinder würde Vorurteile gegen den Islam schüren.
In den muslimischen Verbänden müsse selbstkritisch diskutiert werden, forderte CDU-Ratsfrau Müzeyyen Dreessen. Die Erziehung zur freien Meinung gebe es in vielen Bereichen noch immer nicht, und es sei nicht ausgeschlossen, dass Mädchen sich unter Druck für ein Kopftuch „entschieden“.
Aufklärung müsse das oberste Ziel in der Debatte sein – ein Argument, das auch György Angel (SPD) gern aufgriff. Es sei zu befürchten, dass ein Verbot den Dialog ersetze. Der Vorsitzende des Integrationsrats wird den Brief als Stellungnahme an den Integrationsminister senden.