Gladbeck. . Im Hochhaus Steinstraße leben Menschen aus vielen Herkunftsländern. Die Vielfalt, sagt der Hausmeister, habe die Lage im Haus beruhigt.

Steinstraße 72. Zehn Etagen, 120 Wohnungen, 277 gemeldete Bewohner. Wie viele Menschen dort tatsächlich ein- und ausgehen, ist nicht bekannt. Der Ruf ist längst ruiniert, immer wieder gibt es Ärger in dem Haus. Lärm, Gewalt, sehr häufig mussten in den vergangenen Jahren Polizei- und Feuerwehr ausrücken. Zuletzt starb im Dezember vergangenen Jahres ein Bewohner nach einem Wohnungsbrand.

Der ehemalige Hausmeister Claus Noth (links) und der jetzige Hausmeister des Hochhauses Steinstraße 72, Norbert Weller.
Der ehemalige Hausmeister Claus Noth (links) und der jetzige Hausmeister des Hochhauses Steinstraße 72, Norbert Weller. © Joachim Kleine-Büning

Aber eigentlich, sagt Norbert Weller, läuft es ganz gut. Er muss es wissen, denn er ist seit rund 16 Jahren Hausmeister. Tür an Tür leben in seinem Revier Menschen aus diversen Herkunftsländern, Familien mit Kindern, Rentner – und Menschen, die durch das soziale Raster gerutscht sind. Wie Harry aus dem Erdgeschoss. „Der hat früher im Nordpark gewohnt“, sagt Weller. Jetzt haust er an der Steinstraße, hat aber keine Lust auf Gesellschaft. Zumindest nicht heute und zumindest nicht vor dem ersten Bier des Tages.

Manche klopfen ihre Teppiche auf dem Laubengang

Frau Fritsche geht einkaufen. Sie hat ihren Hackenporsche bei der Hand. Im Haus ist sie für ihre leckeren Kuchen bekannt. Schon lange lebt sie im Hochhaus, in der vierten Etage. Und etwas geht ihr auf die Nerven: „Wenn die hier die Teppiche klopfen, dann rieselt alles auf unseren Laubengang“, sagt sie. Wie auf Kommando schallt ein Klopfen durch den Hof. Eine Frau in der sechsten Etage schlägt ihren Teppich aus, Staubflocken trudeln dem Boden entgegen.

„Das sind die so gewohnt“, sagt Weller. Andere Länder, andere Sitten. Die einen schwingen den Staubsauger, die anderen klopfen ihre Teppiche aus. Hauptsache, sauber. So ist das an der Steinstraße. Die meisten Mieter hielten sich an die Regeln, sagt Weller. Und manche eben nicht. Und so muss er montags erstmal die Mülltonnen vollstopfen – mit den Tüten, die am Wochenende davor gelandet sind.

Ausländer bringen Ruhe ins Haus

Auf seine Bewohner lässt Weller aber trotz aller Arbeit nichts kommen. „Seit die Ausländer hier wohnen und die Flüchtlinge, seitdem ist es hier viel ruhiger geworden“, sagt Weller. Seine Frau schwärmt von der Gastfreundschaft, besonders die Iraker und die Syrer seien da vorbildlich. „Da könnten sich die Deutschen mal eine Scheibe von abschneiden“, sagt sie.

Der Spielplatz wurde vor zwei Jahren neu gestaltet.
Der Spielplatz wurde vor zwei Jahren neu gestaltet. © Joachim Kleine-Büning

Nur in der Verständigung gibt es manchmal Probleme. Wenn der Hausmeister das Gespräch sucht, muss er manchmal einen Übersetzer engagieren – viele Bewohner sprechen noch kein Deutsch. „Die Bulgaren können manchmal türkisch, mit denen kann mein Kollege reden, manche Rumänen können italienisch“, sagt er.

Bei den Männern in der neunten Etage, die er an die Miete erinnern soll, kommt er jedenfalls nicht weiter. Dafür aber sein Kumpel Claus Noth. Der war selbst einmal Hausmeister im Hochhaus. Und weil er früher in der DDR gelebt hat, kann er noch ein paar Brocken russisch. Und einer der Rumänen auch. So kommen sie zumindest überein, dass sich jemand um die Zahlung kümmern wird.

Leute kommen und gehen. Eine Frau in der sechsten Etage bittet um Hilfe – die Wohnungstür ist zugefallen. Und der Schlüssel liegt in der Wohnung. Hilflos wedelt sie mit den Händen – wie soll sie sagen, was passiert ist? Auch ihr Sohn kennt noch nicht genügend Wörter. Weller frickelt mit einem Draht, die Tür öffnet sich, Problem gelöst.

Auch die ehemalige Hausmeisterin wohnt an der Steinstraße

Ein paar Meter weiter steht Anni (77) und raucht eine Zigarette auf dem Gang. Früher war auch sie hier einmal Hausmeisterin, in den 1970er Jahren. „Ich störe mich an nix“, sagt sie und lässt den Blick schweifen. Vom Laubengang aus blickt sie auf den Sperrmüllhaufen, der diese Woche abgeholt werden soll. Anni bleibt am liebsten für sich, sie hat eigene Probleme. Die anderen interessieren sie nicht mehr.

„Deutsche sind ja nicht mehr hier“, sagt sie. Zumindest keine, mit denen sie zu tun haben will. Früher sei das Leben im Haus geselliger gewesen. Seit acht Jahren lebt sie nun in ihrer kleinen Wohnung, manche nennen sie noch immer Hausmeisterin. Eigentlich geht es ihr gut. „Nur der Krach, die Musik, Weller!“ Da soll er doch mal was dran machen.

Sozialer Brennpunkt

Es war mal richtig schlimm. Daran kann sich Claus Noth (65) noch gut erinnern. Er war vor Weller Hausmeister und hatte selbst ein Appartement an der Steinstraße 72. Fast 15 Jahre hat er da gewohnt. Und heute fehlt ihm das Hochhaus ein bisschen. „Die Einsamkeit frisst einen auf“, sagt er.

In der zehnten Etage gibt es noch Einschusslöcher.
In der zehnten Etage gibt es noch Einschusslöcher. © Joachim Kleine-Büning

Auch wenn die Nachbarschaft in den 1990er Jahren durchaus brenzlig war („500 Jahre Knast haben hier gelebt“, witzelt Weller), es habe doch einen gewissen Zusammenhalt gegeben. „Es geht ja nicht nur ums Geld, sondern auch um den Charakter“, sagt er. Aber richtig traurig ist er nicht, dass die Zeiten vorbei sind, da er sich als Hausmeister regelmäßig prügeln musste – „ich habe mich immer nur verteidigt“ – als er sich durchsetzen musste, es sogar Schießereien gab.

Nein, vieles sei schon besser geworden auf den zehn Stockwerken. Nur der Ruf, der hinkt noch hinterher.

Wohnen mit Blick auf die Haldenlandschaft

Der Ausblickaus Frau Müllers Wohnzimmer.
Der Ausblickaus Frau Müllers Wohnzimmer. © Joachim Kleine-Büning

Wenn Gerda Müller vom Balkon aus den Blick schweifen lässt, dann sieht sie die Braucker Alpen. Fast wie im Urlaub ist das, die Gladbecker Berglandschaft, und ein bisschen weiter rechts ist sogar der Tetraeder ganz leicht auszumachen.

Seit drei Jahren lebt die ehemalige Altenpflegerin im Hochhaus Steinstraße 72. „Hier gibt es einen Aufzug“, sagt sie, und auf den sei sie seit einem Schlaganfall angewiesen. Obwohl sie – wie das Haus – Baujahr ‘72 sind, fahren die beiden Lifte meist zuverlässig.

Zweieinhalb Zimmer hat Frau Müllers Wohnung und einen großen Balkon. Aber auf dem pfeife der Wind zurzeit zu sehr. Ein Nachbar hat sich selbst eine Loggia gezimmert, aus Dachlatten und Folie. „Die muss aber bald wieder weg“, sagt der Hausmeister.

Meist bleibt Frau Müller für sich. „Ich kümmere mich nicht um andere Leute“, sagt sie. Fotos an den Wänden erinnern sie an ihren Mann. Zum Beispiel das im Flur, auf dem er einen Hai gefangen hat. „Das war auf Teneriffa.“ Andere Fotos zeigen ihre Familie.

Der Hausmeister besitzt 13 Wohnungen im Hochhhaus

Gerda Müller lebt gern im Hochhaus.
Gerda Müller lebt gern im Hochhaus. © Joachim Kleine-Büning

Sie hat es sich gemütlich gemacht in ihrer Wohnung. Einmal ist sie schon im Hochhaus umgezogen, jetzt wohnt sie ruhiger, am Ende eines Laubengangs in einer Eckwohnung. Ihr Vermieter ist der Hausmeister. Norbert Weller besitzt 13 Wohnungen im Hochhaus. Die seien mittlerweise heiß begehrt, sagt er. Leerstand gebe es nicht mehr, die Zeiten seien vorbei.

Manchmal schaut Weller bei Gerda Müller vorbei, und ab und zu kommt auch seine Frau mit. Dann freut sich die 65-Jährige besonders. Für Besucher hat sie immer etwas im Haus, am Vormittag gibt es Cola und Wasser. Da steht das Mittagessen vom Lieferanten schon in der Wärmebox bereit.

>> RADIO-REPORTAGE IM WDR

Am kommenden Sonntag, 26. März, sendet WDR5 ein großes Radiofeature des Gelsenkirchener Journalisten Reinhard Schneider. „Neun Stockwerke neues Deutschland“ hat er seine Reportage über das Hochhaus genannt. Zu hören ist sie um 11.05 Uhr