Gladbeck. . Jahrelang gehörte Birgit Krüger im Rollstuhl mit ihrem Begleithund Ragnar zum Stadtbild. Mit einem neuen Medikament kam sie wieder auf die Beine.
Wunder gibt es nicht? Vielleicht ist das so. Aber glückliche Fügungen gibt es ganz bestimmt. Eine davon hat Birgit Krüger erlebt: Nach vier Jahren im Rollstuhl kann sie wieder laufen. Ziemlich flott sogar, und fast schon leichtfüßig führt sie ihren Ragnar nun an der Leine.
Eine Wendung, mit der selbst die immer gut gelaunte Gladbeckerin nicht gerechnet hätte. Im September 2011 erhielt sie die Diagnose Multiple Sklerose. Es war ihr schon länger nicht gut gegangen, doch nun ging es rapide bergab.
Multiple Sklerose verläuft in Schüben
„Einige Monate später habe ich den Rolli bekommen“, erinnert sie sich. Die Familie, ihr Mann und die beiden Kinder, befanden sich im Schockzustand. Die Krankheit verläuft schubweise, und bei Birgit Krüger bewirkten diese Schübe, dass sie kaum noch laufen konnte. „Für mich war das gar nicht so schlimm, weil es für mich ein laufender Prozess war“, sagt sie.
Im Frühjahr 2014 entschied sie sich, Ragnar bei sich aufzunehmen, einen kapitalen Staffordshire-Terrier aus dem Tierheim. Ihm brachte sie bei, ihr bei den Tücken des Alltags behilflich zu sein. Waren manche Passanten anfangs noch skeptisch angesichts des Hundes, der laut Landeshundeverordnung zu einer gefährlichen Rasse gehört, wurden die beiden jedoch bald zu einem bekannten und beliebten Gespann. Ragnar fand seinen Job als Begleithund richtig gut.
Die Füße tragen auf einmal wieder
Und jetzt ist auf einmal alles anders. „Ich hatte seit über einem Jahr keinen Schub mehr, der aufs Gangbild geht“, erzählt die 48-Jährige. Sie hatte neue Medikamente bekommen und stellte auf einmal fest: Die Füße tragen wieder.
„Ich bin eines Tages aufgestanden und habe gemerkt: Deine Füße platschen gar nicht auf.“ Zwei Wochen übte sie zu Hause, dann wagte sie sich zum ersten Mal ohne Rollstuhl auf die Straße. Ein Wunder? „Der Neurologe hat gesagt, dass es so etwas in seltenen Fällen geben kann“, erzählt sie.
30 Kilo leichter und blond
Nun ist sie also auf zwei Beinen unterwegs. Überhaupt hat sie sich sehr verändert. Nicht nur, dass nun niemand mehr nach unten schauen muss, um sich mit ihr zu unterhalten – Birgit Krüger ist eine ziemlich große Frau, die nun ihrerseits oft auf ihr Gegenüber hinunterschaut.
Als Rollstuhlfahrerin trug sie Kleidergröße 52 – seit sie wieder läuft, hat sie 30 Kilogramm abgenommen und passt nun in den verspielten Kapuzenpulli, der sie so viel jünger aussehen lässt. Auch die Haarfarbe hat sie an ihr neues Körpergefühl angepasst und trägt nun knallhelles Blond auf dem Kopf.
Viele fragen, wo der Hund ist
Als Rollstuhlfahrerin war Birgit Krüger in der Stadt bekannt, besonders seit sie von Ragnar begleitet wird. Nun muss sie damit leben, dass bei vielen Menschen erst der Groschen fällt, wenn sie an der Leine entlang nach oben schauen. Oder entrüstet fragen, wo denn der Hund sei, wenn sie mal alleine auf Tour ist.
Vier Stunden pro Tag ist sie mit dem Hund unterwegs. Sie läuft und läuft und freut sich über Dinge, die anderen Fußgängern eigentlich lästig sind. Schwitzen zum Beispiel – wunderbar findet sie es, wenn sie sich bei wechselhaftem Wetter erhitzt aus der Jacke schälen muss. „Das kannte ich im Rollstuhl gar nicht mehr“, sagt sie lachend.
Ragnar hilft ihr, das Gleichgewicht zu gehalten
Nicht immer läuft sie perfekt. Ein Knie ist im Lauf der Jahre instabil geworden, aber das ist nur eine kleine Behinderung für die Frohnatur. „Hey, ich kann laufen“, ruft sie. Und wenn es ihr an einem Tag mal nicht so gut geht, kann sie sich auf Ragnar verlassen. Der hat ein Gespür für sein Frauchen und läuft dann besonders vorsichtig an der Leine und stellt sich eng an sie, damit sie das Gleichgewicht besser halten kann.
Multiple Sklerose ist nicht heilbar. Ob Birgit Krüger künftig von Krankheitsschüben verschont bleibt, weiß niemand. „Und wenn, ich würde es ja auch gar nicht wissen wollen“, sagt sie fröhlich, „so lange es geht, macht es Spaß.“ Und wenn „es“ nicht mehr geht? Der Rollstuhl, erzählt sie, stehe zu Hause und werde gehegt und gepflegt.
Weil sie weiß, wie schnell sich ihr Leben wieder ändern kann, genießt sie die neugewonnene Bewegungsfreiheit ganz besonders intensiv. „Mein Mann und ich können wieder Hand in Hand samstags morgens über den Markt gehen“, schwärmt sie. Vielleicht haben sie bald wieder ein Gefährt dabei: Die Krügers werden bald Großeltern. Dann heißt es: Kinderwagen statt Rollstuhl. Ein Grund mehr, auf den Beinen zu bleiben. Und auch wieder so ein kleines Wunder.