Gladbeck. . Nicole Hadert und Jörg Weidemann sind ins nordsyrische Kobanê gereist, um dort mit anderen Freiwilligen ein Gesundheitszentrum zu errichten.
- Nicole Hadert und Jörg Weidemann bauten mit an einem Gesundheitszentrum im Norden Syriens
- Für den ehrenamtlichen Einsatz riskierten die beiden ihr Leben, wurden von türkischen Grenzsoldaten beschossen
- Im November wurde das Zentrum eröffnet und wird künftig vom kurdischen Halbmond betrieben
Syrien kommt nicht zur Ruhe. Die jüngsten Bilder aus Aleppo haben das Grauen des Kriegs einmal mehr gezeigt. Trotzdem haben sich die Gladbecker Nicole Hadert und Jörg Weidemann nicht abschrecken lassen, in das Kriegsgebiet zu reisen und im nordsyrischen Kobanê am Bau eines Gesundheitszentrums mitzuwirken, das kürzlich feierlich eröffnet wurde.
Beim Besuch in der WAZ-Redaktion tragen die beiden bunte Tücher mit Damaszener-Rosen, genau wie die kurdischen Kämpfer, die Ende Januar 2015 die Stadt an der türkisch-syrischen Grenze (unterstützt durch die USA) vom sogenannten „Islamischen Staat“ befreiten. Zwar gibt es auch dort immer wieder Auseinandersetzungen, unter anderem auch mit der Türkei, aber viele Geflüchtete sind zurückgekehrt, um ihre Stadt wieder aufzubauen.
Das Gesundheitszentrum, an dem beide mitarbeiteten, entstand unter Federführung des linksgerichteten Vereins „Solidarität International“ – in Deutschland koordinierte die Marxistisch-Leninistische Partei MLPD den Einsatz der „Brigaden“. Die Klinik soll den Bewohnern des von Kurden verwalteten Gebiets Rojava medizinische Hilfe garantieren.
Hilfe leisten, Solidarität zeigen
„Es ging uns darum, Hilfe zu leisten“, sagt Jörg Weidemann, der als Redakteur bei der Parteizeitung „Rote Fahne“ arbeitet und eine Kampfsportschule betreibt. Es sei eine Sache, einen Kampf zu gewinnen, wie die Kurden in Kobanê, eine andere Sache sei es, wieder Leben in der Region zu ermöglichen – und eben Solidarität mit dem Kampf der Einheimischen zu zeigen.
Das Risiko, in das Kriegsgebiet zu reisen, nahmen beide in Kauf, sind auch Monate nach ihrer Rückkehr vom Sinn des Projekts überzeugt – obwohl sie zwischenzeitlich um ihr Leben fürchten mussten. „Wir sind davon ausgegangen, dass wir in ein befreundetes Gebiet fahren“, sagt Weidemann. Allein: Mit der Unfreundlichkeit der Nachbarn hatten sie nicht so richtig gerechnet.
Harte Arbeit bei 50° Celsius
Nicole Hadert (29) fuhr bereits in der zweiten Brigade von Juli bis August 2015 nach Syrien. Dabei überquerte sie illegal die Grenze zwischen Türkei und Syrien. Das war kein Spaziergang: Sie rannte, wie vom Schleuser befohlen, hörte die Schüsse kaum, die Grenzsoldaten zur Warnung abfeuerten. In Kobanê teilte sie sich einen Wohncontainer mit anderen Helfern, erlebte die Enge, die auch Flüchtlinge in Lagern erfahren.
Und sie packte an, trotz 50° Celsius im Schatten, trotz kleiner Trinkwasser-Rationen, trotz mangelhafter hygienischer Zustände. „Ich will die Erfahrung nicht missen“, sagt die Studentin. Das Miteinander hat sie geprägt, genau wie das schlichte Leben im Lager. „Was für einen Standard wir hier haben, den man eigentlich gar nicht braucht“, das habe sie gelernt.
Geplant war die Reise nach Syrien durch den Irak
Für die meisten Menschen wäre diese Erfahrung schon zu viel Abenteuer. Jörg Weidemann (48) kann die Geschichte locker toppen. Er reiste im November ‘15 in der siebten Brigade nach Kobanê, die sich um die Elektrik kümmern sollte. Elf Wochen dauerte seine Reise – länger, als geplant. Schon die Anreise lief schief. Eigentlich wollte seine Gruppe, in der auch handwerklich begabte Rentner waren, über den Irak nach Syrien.
Doch im Irak war die Weiterreise nicht möglich. Etwa zweieinhalb Wochen saßen sie fest. „Wir haben da einen riesigen Wirbel organisiert“, erinnert sich Weidemann. Schließlich taten sich ein paar Mutige zusammen, um illegal über die Türkei nach Syrien zu gelangen – Visa gab es nicht.
Grenzsoldaten schossen auf die Deutschen
„Es kann sein, dass sie dort schießen“, habe jemand gesagt. „Die Schüsse gingen los, als wir im Morgengrauen durch den Nebel rannten.“ Die türkischen Soldaten hätten wohl gezielt daneben geschossen, „pök, pök macht das“, sagt Weidemann. Und nicht nur der Weg hinein war abenteuerlich. Nachdem die Brigade ihren Teil zum Aufbau des Gesundheitszentrum beigetragen hatte, verweigerte die Türkei ihnen die Passage: Keine legale Einreise, keine legale Ausreise.
Sogar die „Tagesthemen“ berichteten über die Versuche Weidemanns, heimzukehren. Fotos zeigen die Blessuren, die er an der Grenze davontrug. Nach sechs Wochen endlich durfte er nach Hause – am Tag nach seinem 48. Geburtstag, am 24. Januar 2016 , ging es via Irak nach Deutschland.
177 Helfer aus zwölf Landern
177 Freiwillige aus zwölf Ländern haben beim Aufbau des Gesundheitszentrums in Kobanê mitgemacht. Unter dem Dach der linksgerichteten „ICOR“ (International Coordination of Revolunionary Parties and Organizations) wurden die Brigaden aufgestellt, die in Kobanê Aufbauarbeit leisteten. Am 21. November war Einweihung. Künftig soll das Zentrum vom Kurdischen Halbmond betrieben werden, Unterstützung kommt weiterhin von den „ICOR“-Angehörigen.
Für die Menschen der Region ist das Zentrum wichtig – ohne Reisefreiheit ist die medizinische Versorgung besonders schwierig. Im Gesundheitszentrum gibt es eine Kinderstation und eine gynäkologische Abteilung, so dass auch schwierigere Geburten möglich sind. Doch ganz fertig ist das Haus noch nicht. Bei der Planung sei Nachhaltigkeit ein Thema gewesen, so Weidemann, Material für die Wasseraufbereitungsanlage, Sonnenkollektoren und andere Anlagen dürfen derzeit nicht ins Land gebracht werden – die Grenze zur Türkei ist weiterhin dicht