Gladbeck. . Eine Polizeibeamtin aus dem Recklinghäuser Präsidium, die seit mehr als 20 Jahren im Dienst ist, erzählt von ihren Erfahrungen auf Streife.

Mit ihrem Buch „Deutschland im Blaulicht. Notruf einer Polizistin“ sorgte die Bochumer Polizeikommissarin Tania Kambouri vor Wochen für Furore. Es geht um Gewalt und Respektlosigkeiten gerade auch muslimisch geprägter junger Männer gegenüber Polizisten im Allgemeinen – und Beamtinnen im Speziellen. Nach einigem Medienrummel ist es um das Buch ruhiger geworden, doch die Probleme, die es beschreibt, existieren weiter. Auch im Kreis, wie eine Polizistin aus dem Recklinghäuser Präsidium berichtet.

"Das gab es schon immer"

Die Beamtin, die anonym bleiben will, ist seit mehr als 20 Jahren im Dienst: anfangs bei der Bereitschaftspolizei, danach auf Streife, sowohl in großen Ruhrgebietsstädten wie auch eben in einer Wache im Vest. „Das, was die Kollegin in ihrem Buch schildert, gab es immer schon, nicht erst seit 2014/2015. Was sich verändert hat, sind die Häufigkeit und vor allem das Wie“, sagt die Polizistin.

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Die Erosion des Respekts vor Polizisten allgemein zeige sich in allen Schichten, berichtet die 40-Jährige. Das betrifft Ausländer ebenso wie Deutsche, Hilfsarbeiter ebenso wie Abiturienten: „Wir erleben Kinder aus sogenanntem gutbürgerlichen Haus, die uns in einer Art und Weise anmachen, dass einem die Spucke wegbleibt. Wenn man dagegen vorgeht, schicken die Eltern uns dann obendrauf noch einen Anwalt auf den Hals – anstatt darüber nachzudenken, was mit ihren Sprösslingen los ist.“

Die Kombination Frau und Uniform

Bei muslimisch geprägten Jugendlichen kommt beim Nicht-Akzeptieren von Regeln noch etwas anderes hinzu: die Selbstbeschwörung eines Feindbildes durch die Kombination Frau und Uniform – Macho-Gehabe als Pervertierung tradierter Ehrbegriffe. „Mit dir als Frau rede ich doch gar nicht erst… diesen Satz bekomme ich öfter zu hören“, berichtet die Beamtin.

Beim Schlichten einer Auseinandersetzung in einer muslimischen Familie wurden die Söhne aggressiv gegen Einsatzkräfte, weil der Vater als „Oberhaupt“ nach Handgreiflichkeiten gegen die Mutter unmissverständlich von einer Polizistin gemaßregelt wurde – von eben einer Frau. „Ich finde es bedrückend, wie schnell und massiv sich mittlerweile selbst Kleinigkeiten hochschaukeln. Ein Beispiel: Ich sehe mit einem Kollegen zwei Autos, die an einer Hauptstraße kreuz und quer parken. Wir steigen aus und machen eine Kennzeichenüberprüfung, es kommt zum Wortwechsel. Plötzlich sind wir von einer Traube von 30 muslimischen Männern umgeben, wir holen dann auch Verstärkung… Dabei geht es doch nur darum, dass durch Verkehrshindernisse Leute gefährdet werden. Unterm Strich wollen wir doch auch die Väter oder Mütter von denen schützen, die so parken. Auch sie könnten verunglücken, weil irgendwer sein Auto irgendwie abstellt.“

Beleidigung und Bedrohung

Verbale Gewalt, Beleidigungen, Bedrohungen sind Alltag. Wie gehen die Beamten – gerade Polizistinnen – mit dieser neuen Form der Belastung um? „Natürlich reden wir untereinander darüber, wenn etwas vorgefallen ist, und fangen uns gegenseitig auf. Es gibt auch Hilfestellung von Vorgesetzten. Vor 20 Jahren hätte keiner darüber gesprochen, was ihn bewegt.“

Beginnt da etwas im Kleinen, was die Staatsmacht als auf dem Rückzug erscheinen lässt? „Wenn Strafbares kommt, schreiben wir Anzeigen. Wir haben Rückendeckung von Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen – das ist gut so und geht auch gar nicht anders. Letztendlich gehört das zum Job. Wir sind dafür ausgebildet und müssen damit zurchtkommen."

Beim nächsten Mal findet dann der Kollege den richtigen Ton

Ist das als Frau in Uniform doppelt schwer? Als Polizistinnen vor zwei Jahrzehnten vermehrt in den Streifendienst kamen, gab es noch Kollegen, die sich nicht eben darum gerissen haben, mit ihnen auf Tour zu gehen. „Ich erlebe es immer wieder, dass ich – warum auch immer – mit jemandem zurecht komme, der uns in einer Konfliktsituation gegenübersteht. Und beim nächsten Mal ist es dann ein Kollege, der den richtigen Draht, den richtigen Ton findet, um eine Situation zu entschärfen“, erzählt die Beamtin.

„Es wird immer gesagt, dass der Einsatz von Polizeibeamtinnen deeskalierend wirkt, diese Momente gibt es wirklich. Manche haben noch eine Hemmschwelle, gegenüber einer Frau handgreiflich zu werden. Wir kommen oft näher an Leute heran. Ich meine das nicht als Redewendung, sondern tatsächlich. Man kann als Frau unauffällig Distanz überwinden und dann liegt plötzlich jemand schneller in Handschellen auf dem Boden, als er sich das jemals vorstellen konnte.“

Wirkungsvolle Maßnahmen

Manchmal bewirken ganz einfache Maßnahmen Wunder, berichtet die Polizistin. „Bei einem Familienstreit hat sich eine Menschentraube muslimischer Männer gebildet, die mit der Sache eigentlich gar nicht zu tun hatten. Sie haben sofort Fotos und Videos gemacht, dann wurde es laut, auch mit Beleidigungen. Wir haben Verstärkung geholt und dann die Handys eingesammelt – alles Beweismittel wegen der Fotos und Videos. Das hat voll gewirkt und sich auch herumgesprochen. Nach ein paar Stunden haben die Leute dann ihre Handys wiederbekommen, aber sie haben die Konsequenzen ihres Handelns zu spüren bekommen. Scheint eine schlimme Strafe zu sein, die Zeit ohne Handy.“