Gladbeck. . Das Unbehagen der Juden in der Region wächst nach Anschlägen und Anfeindungen. Gladbecker Juden stellen die Frage nach dem Warum.

Ziel der jüngsten Anschläge in Frankreich und Dänemark sind nicht nur Islamkritiker, sondern vor allem auch Juden. Die Angst zum Opfer zu werden wächst in Europa und Deutschland. Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das jüdische Leben in Gladbeck.

So setzt Judith Neuwald-Tasbach, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, zu der auch Gladbeck gehört, ein „eigentlich“ vor ihre Antwort auf die Frage, ob sich Mitbürger jüdischen Glaubens „sicher und gut integriert fühlen“.

Eigentlich meint hier, dass „es normal ist, dass Juden in Deutschland leben“, dass es „normal, richtig und wichtig ist, dass Juden einen festen Platz in dieser Gesellschaft haben“. Doch hinzu kommt seit einigen Wochen ein unbestimmtes Gefühl von Verunsicherung. Ein Gefühl, das zögern lässt beim Antworten auf gewisse Fragen. Denn die „Anschläge verbreiten Angst und Schrecken, gerade bei jungen Menschen, die Kinder haben“.

Und es sind nicht nur die Anschläge, es sind auch Bewegungen wie Pegida, die schaudern lassen. „Da trommelt ein Herr Bachmann 40 000 Menschen entsprechender Gesinnung zusammen, da fragt man sich als Jude schon, was machen wir falsch?“ Dabei „wollen wir nur ganz normal hier leben, schließlich beeinträchtigen wird ja niemanden“. Die Verunsicherung wirft Fragen auf, besonders bei den Kindern merkt Judith Neuwald-Tasbach dieses Phänomen, das nun nach den vielen schlechten Nachrichten auftritt. „Die Kinder fragen immer mehr. Sie fragen: Warum? Woher kommt es, dass man als Jude so gehasst wird?“

Unsicherheit zieht Verhaltensänderungen nach sich

Die Unsicherheit zieht längst Verhaltensänderungen nach sich. „In Gladbeck trägt keiner mehr öffentlich seine Kippa. Sie wird unter der Mütze versteckt“, weiß die Gemeindevorsitzende. Aus Angst vor Pöbeleien oder Anfeindungen verzichten auch die Mädchen. „Sie tragen keinen Davidstern mehr als Schmuck.“

Viel schlimmer sei allerdings die Situation in Frankreich. „Was dort passiert ist nur die Spitze des Eisbergs.“ Deshalb verstehe sie auch, dass viele Juden dort das Land verlassen wollen. „Ein Bekannter von uns hat beim Geiseldrama in dem Pariser Supermarkt Freunde verloren. Der Mann möchte jetzt nur noch an einen friedlichen Ort.“

"Man macht sich als Jude halt so seine Gedanken"

In Deutschland denken die Menschen nicht so judenfeindlich wie in Frankreich. Aber: „Man macht sich als Jude halt so seine Gedanken.“ Neuwald-Tasbach sieht einen verschärften Handlungsbedarf – auch in Gladbeck. „Wir dürfen nicht abwarten, bis hier etwas passiert.“ In Schulen müsse dringend für eine bessere interreligiöse und interkulturelle Kompetenz gesorgt, müssen Vorurteile abgebaut werden. Freundschaften sollten zwischen Juden, Christen und Muslimen geschlossen werden, denn „dann ist es doch ganz egal, welcher Religion man angehört“.

"Schon mein Urgroßvater lebte hier"

Es könne ja nicht sein, dass man jemanden ablehnt, weil man nicht genug über ihn weiß. Die Juden gehörten zu diesem Land, seien eine Bereicherung für die Gesellschaft. „Wir wollen hier leben, schon mein Urgroßvater lebte hier.“ Keinesfalls wolle man sich dem Terror beugen, „aber wir wissen nicht was sein wird, wenn es hier so wie in Frankreich ist“.