Gelsenkirchen. Dr. Christopher Schmitt vollzog letzten Dezember den Seitenwechsel vom Wirtschaftsverband zum Chef für Wirtschaftsförderung, Bürgerservice, Recht & Ordnung. Als Stadtrat beschäftigt den Juristen seither täglich das „pralle Leben einer Großstadt“. Eine erste Bilanz – und Ausblicke auf alte und neue Aufgaben.

Auf dem Schreibtisch liegt ein Stapel seiner schwarz-roten Kladden. Dr. Christopher Schmitt gilt als akribischer Vorbereiter. Handschriftliche Notizen füllen die Seiten, fliegende Zettel sind eingelegt. So viele Themen, so viele Ideen. „Arbeitsaufkommen streng nach Plan – das gibt es hier nicht“, fasst Schmitt die Erfahrungen der letzten Monate zusammen. „Man wird immer vom Alltag eingeholt. Da beschäftigt einen vielleicht gerade die Ausschreibung für die Sparkassenakademie-Bewerbung und dann kommt das Thema Straßenprostitution auf den Tisch. Und hat man gerade mit Recht und Ordnung zu tun, haut ein Jahrhundertsturm dazwischen. Hier schwappt jeden Tag das pralle Leben einer Großstadt an den Schreibtisch.“

Im Dezember 2013 hat Christopher Schmitt als Stadtrat dieses Eckbüro mit dem großen Fensterband bezogen, seine Arbeit an diesem Schreibtisch aufgenommen – als Nachfolger von Joachim Hampe. Mit 45 Jahren trat der Jurist damals zum nächsten Karrieresprung an. Er wurde Beigeordneter für den Vorstandsbereich Wirtschaftsförderung, Recht und Ordnung sowie Bürgerservice. Findungskommission und Politik hatten sich bei der Kandidatenauswahl mit Schmitt auf einen Bewerber geeinigt, dem man, wie er selbst sagt, einen „schnellen Kaltstart“ zutraute.

Auf die Stones und David Bowie fiel die Wahl

Denn die Stadt und ihre Wirtschaft sind dem gebürtigen Bueraner bestens vertraut: 2001 wechselte er zu den Arbeitgeberverbänden Emscher-Lippe und wurde dort 2004 Geschäftsführer, als Vorstand der 2005 gegründeten Wirtschaftsinitiative setzte er Zeichen. Den Vorstandsposten hat mittlerweile der Unternehmer Roland Hundertmark übernommen. „Er macht das gut“, ist Schmitt überzeugt

Die Übergänge sind fließend: Ein Kaffeebecher mit Schriftzug der Wirtschaftsinitiative steht vor ihm auf dem Tisch, einige Musikerposter, mit denen Schmitt vor Jahren eine der beachtlichen Ausstellungen im Industrieclub bestückte, hat er in seinem neuen Büro aufgehängt. Auf die Stones und David Bowie fiel die Wahl. Arbeit, Musik- und Kunstsinn hat Schmitt auch in der Vergangenheit gerne vereint. Das gilt auch in seiner neuen Position. Einen Kulturschock hat er damit im Rathaus nicht ausgelöst.

Standortmarketing mit Charme

„Entgegen landläufigen Vermutungen gibt es hier sehr viele hochmotivierte und starke Mitarbeiter, aber das war für mich nicht unbedingt eine Überraschung. Ich hatte ja schon viele Kontakte mit der Wirtschaftsförderung. Anders ist schon, dass es in einer Verwaltung schon eine sehr starke Hierarchie gibt, das kannte ich in meinem vorigen Berufsleben so nicht.“

15 Kräfte beschäftigt die städtische Wirtschaftsförderung, gut 180 das Referat Recht und Ordnung, an die 1200 sind es bei Gelsendienste. Eine riesige Maschinerie, bei der zig Rädchen optimal ineinander greifen müssen, damit es läuft. „Die einzelnen Ämter sind gut geführt“, findet Schmitt. Wie geölt lief es auch an anderer Stelle. Für die Sparkassenakademie, so der Stadtrat, „haben wir eine ganz starke Bewerbung abgegeben. Fachleute und Träger der Infrastruktur dazu zu bringen, die Bewerbung zu ihrer eigenen Sache zu machen, das hat Spaß gemacht. Und das ist es auch, was wir tun können.“

Schmitt plant weitere PR-Broschüren in der Art, wie sie zur Bewerbung erstellt wurde, um die Stadt und ihre Stärken ins rechte Licht zu rücken. „Was ich will, ist Standortmarketing mit einem gewissen Charme, ohne Glanzbilder zu produzieren, die die Wirklichkeit nicht abbilden“.

„Das ist ein Dauerlauf, kein Spurt“

Das Bild von der Stadt in den Köpfen der Republik – ein Allzeit-Aufreger. „Gelsenkirchen hat ein Imageproblem. Das ist etwas, was uns sehr beschäftigt“, sagt Christopher Schmitt. „Wir arbeiten an einer Kampagne. Der Grundgedanke steht: Unternehmen sollen dabei als Botschafter für den Wirtschaftsstandort Gelsenkirchen auftreten. Wir haben das einigen Firmen vorgestellt. Die Resonanz war positiv. Ich denke, früh im Jahr 2015 werden wir das hinkriegen.“

Der Beigeordnete zählt quasi qua Amt zu denen, die lokale Stärken betonen müssen und können. „Am Ende des Tages geht es immer um drei Dinge“, betont Schmitt: „Um Flächen, um Arbeitskräfte, um Infrastruktur. In allen drei Disziplinen ist Gelsenkirchen gut aufgestellt. Das muss man sich einfach nur mal klar machen. Wir haben den Luxus, über aktuell entwickelte Gewerbeflächen verfügen zu können und wir sind vom Arbeitskräftemangel längst nicht so stark betroffen wie andere Regionen.“ Hinzu kämen prima Rahmenbedingungen – von Autobahn-Anbindung bis zum Fachhochschul-Standort. „Und das alles zu einem wirklich moderaten Gewerbesteuersatz.“ Nächster Pluspunkt für den obersten Wirtschaftsförderer: „Gelsenkirchen ist auf dem Weg zur Smart-City. Das wird noch nicht richtig wahrgenommen. Was das Thema Breitbandnetz angeht, sind wir wirklich weit. Die Gewerbegebiete sind versorgt, die weiterführenden Schulen auch. Kostenloses WiFi auf der Bahnhofstraße wird bald realistisch sein. Es gibt insgesamt schon 40 Hotspots, geplant sind für 2015 weitere 100.“

Bleibt ein anderes Dauerthema – die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. „Ich denke, dass wir so etwas wie den Gelsenkirchener Appell benötigen“ – eben als Jobinstrument, um dem hohen Anteil an unqualifizierten Arbeitslosen eine neue Perspektive bieten zu können. „Das ist wichtig für die Stadt“, auch wenn dadurch allein die Probleme kaum zu lösen seien.

Den Jobmotor immer wieder anzukurbeln, ist Aufgabe der Wirtschaftsförderer. „Doch es wird nicht passieren, dass ein Autobauer mit 3000 Arbeitsplätzen kommt“, bremst Schmitt überbordende Erwartungen. Er weiß: „80 Prozent aller neu entstehenden Arbeitsplätze entwickeln sich aus dem Bestand. Dafür braucht es einen langen Atem. Das ist ein Dauerlauf. Kein Spurt.“