Gelsenkirchen. Nach einem Verkehrsunfall, bei dem die damals zehnjährige Alicia mit ihrem Rad von einem Auto frontal erfasst und schwerst verletzt wurde, kämpfte ihre Mutter um finanzielle Entschädigung. Das Mädchen liegt seit dem Unfall im Wachkoma. Nach vier Jahren gab die Versicherung endlich nach.

Manuela Roshalm-Feige ist besonders hartnäckig und eine Frau mit starkem Willen. Als ihre damals zehnjährige Tochter Alicia 2010 von einem Auto erfasst wurde, änderte sich das Leben für Mutter und Tochter von einem Tag auf den anderen. Nach einem Schädel-Hirn-Trauma liegt Alicia bis heute im Wachkoma, ist zu 100 Prozent schwerstbehindert.

Ihr aufgewecktes und lebhaftes Kind bekommt sie nicht mehr zurück. Doch wenigstens eine finanzielle Entschädigung forderte die Bulmkerin von der Versicherung der Unfallfahrerin, die eine Haftung ablehnte. Sie fand in der Rechtsanwältin Sabine Menne eine Juristin, die ebenso hartnäckig um die Rechte ihrer Mandantin kämpfte. Vier Jahre hat es gedauert, bis sich die Versicherung, die ausgerechnet „Bruderhilfe“ heißt, dem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt beugte. Sie muss 178.000 Euro und eine monatliche Rente in Höhe von 300 Euro zahlen.

Autofahrerin zu schnell unterwegs

Im Juli 2010 hatte Alicia die Ferien bei ihrem Opa in Eschwege verbracht. Als sie auf dem Fahrrad von einer Nebenstraße kommend die Bundesstraße überqueren wollte, wurde sie von einem Auto frontal erfasst und über die Straße geschleudert. Sie prallte mit dem Kopf auf der Gehwegkante auf. Die Autofahrerin war in der Tempo-50-Zone mit 67 km/h unterwegs. Wie ein Gutachter später feststellte, hätte sie den Unfall bei normaler Geschwindigkeit verhindern können.

Bis zum zehnten Lebensjahr sind Kinder auf dem Fahrrad noch nicht verantwortlich für ein mögliches Fehlverhalten, weil sie eine Gefährdung auf der Straße noch nicht entsprechend einschätzen können. Die Versicherung verweigerte eine Zahlung, da Alice das zehnte Lebensjahr um drei Monate überschritten hatte. Schon in der 1. Instanz hatte das Landgericht Kassel der Klage der 45-Jährigen stattgegeben. Auch bei der Überschreitung um drei Monate, so das Gericht, sei vom gleichen Entwicklungsstand eines zehnjährigen Kindes auszugehen, es also nicht verantwortlich.

Dass Alicia ohne Helm unterwegs war, spielte für die Versicherungshaftung keine Rolle mehr. Erst kürzlich hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Versicherungsanspruch nicht erlischt, wenn Radfahrer keinen Helm tragen. Aber auch der Helm, so die Erkenntnisse eines Gutachters, hätten die gravierenden Verletzungen nicht verhindert.

Zweimal pro Woche übernehmen Krankenschwestern stundenweise die Betreuung

Manuela Roshalm-Feige musste weitere Schicksalsschläge verkraften. Sie erlitt einen Herzinfarkt, dann starb ihr Ex-Mann, zu dem sie noch regelmäßig guten Kontakt hatte. Schließlich verließ sie auch noch ihr Freund. Doch das Schicksal ihrer Tochter gab der 45-Jährigen, die von Hartz IV lebt, Kraft. Sie machte ihren Führerschein, kaufte ein behindertengerecht ausgestattetes Auto, damit sie mit Alicia mal `raus kommt. Die 14-Jährige ist ständig auf Hilfe angewiesen, wird tagsüber im Pflegerollstuhl zur Löchterschule gebracht. Morgens kommt der Pflegedienst, zweimal in der Woche betreuen Krankenschwestern sie für fünf Stunden. „Dann kann ich mal durchatmen“, genießt Manuela Roshalm-Feige die kurze Freizeit.

Ansonsten versorgt sie nachmittags und nachts ihr Kind, spricht viel mit ihm oder liest aus einem Buch vor. Bis zu sieben Mal in 24 Stunden wechselt sie die Windeln, übernimmt die Körperpflege und medizinische Versorgung. Glückliche Gefühle empfindet sie als Mutter, wenn Alice durch Bewegungen der Augen Regungen zeigt oder den Yoghurt isst, den sie ihr gibt. Alicia wird fast ausschließlich über eine Magensonde ernährt.

Die 45-Jährige weiß, dass sich der Zustand ihrer Tochter nicht mehr verbessern wird. Traurig ist sie darüber, dass keine Kontakte zu früheren Freundinnen ihrer Tochter mehr bestehen und dass die Unfallfahrerin sich nicht gemeldet hat.