Gelsenkirchen. . Ein Sachbearbeiter hat die Bitte einer Kollegin um Höherstufung ihres Behindertengrades wohlwollender und vor allem eigenmächtiger beschieden als das Gesetz dies vorsieht. Der Mann wurde nun vom Amtsgericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Antragstellerin selbst indes wurde freigesprochen.
In 22 Minuten war alles vorbei. Die Kollegin W. aus dem Versorgungsamt hatte im Juni 2009 eine Höherstufung ihres Behindertengrades (GdB) beantragt. Ohne Einschaltung externer Gutachter oder des internen ärztlichen Dienstes hatte Kollege R. (59) den GdB von 20 auf 60 festgesetzt und mit dem Merkzeichen „G“ zusätzlich eine erhebliche Gehbehinderung bescheinigt.
Die kollegiale Serviceleistung hatte ein gerichtliches Nachspiel. Das Amtsgericht verhängte gegen den ehemaligen Mitarbeiter wegen falscher Beurkundung eine Freiheitsstrafe von acht Monaten bei dreijähriger Bewährung. Außerdem: 3000 Euro Auflage.
Wegen Anstiftung zur Falschbeurkundung war auch die 59-jährige Kollegin angeklagt. Sie wurde freigesprochen. Ihr war nicht nachzuweisen, ob sie den Sachbearbeiter beim Einreichen des Verschlimmerungs-Antrages zur höheren Einstufung aufgefordert hatte. Heraus kam der interne Freundschaftsdienst, nachdem einem ehemaligen Abteilungsleiter Unstimmigkeiten aufgefallen waren. So ließ er einige Anträge erneut überprüfen. Die führten bei der 59-Jährigen zu einem GdB von 30.
Vorteile durch höhere Einstufung
Die Vorzüge ab einem Grad der Behinderung von 50 sind erheblich. So ist für Schwerbehinderte unter anderem der Steuerfreibetrag höher, gibt es fünf Tage zusätzlichen Urlaub, ist nur noch die Hälfte der KFZ-Steuer fällig.
Der Sachbearbeiter hatte vor Gericht erklärt, mit dem Antrag zum ärztlichen Dienst gegangen zu sein. Dort habe die Ärztin in seinem Beisein ihre medizinische Stellungnahme abgegeben. Die Akte habe er wieder mitgenommen und anschließend seine Entscheidung getroffen. Die Ärztin versichert, dass der 59-Jährige nicht bei ihr aufgetaucht sei und sie niemals ein Gutachten im Beisein eines Sachbearbeiters erstellen würde. Die Akte existiert nicht mehr, eine entsprechende Bescheinigung des Hausarztes zur Verschlimmerung des gesundheitlichen Zustandes von W. fehlt ebenso. Für das Gericht steht fest, dass die 59-Jährige bewusst einen Antrag ohne ärztliche Unterlagen eingereicht und der Sachbearbeiter ohne Prüfung einen beliebigen Wert eingesetzt habe.
Prozess legte die Macht und Selbstständigkeit der Sachbearbeiter offen
Deutlich wurde während des Prozesses, wie mächtig Sachbearbeiter sind und wie autark sie entscheiden. So dürfen sie auch gegen die Empfehlung des ärztlichen Dienstes einen höheren GdB festsetzen. In Gelsenkirchen gelten die Beurteilungen des ärztlichen Dienstes als besonders streng. Mit ähnlichen Fällen müssen sich Gerichte wohl in den nächsten Wochen erneut befassen. Die Staatsanwaltschaft wirft weiteren Mitarbeitern vor, Kollegen ganz ohne amtliche Prüfung vorzugsweise „bedient“ zu haben.
Kollege R. arbeitet heute in der Vollzugsgeschäftsstelle eines Gefängnisses, Kollegin W. beim Landschaftsverband Westfalen Lippe.