Gelsenkirchen. . Zum Abschluss der Gelsenkirchener WAZ-Serie zum Thema Verzicht berichtet Melanie Meyer von ihrem Selbstversuch. Sie ist zusammen mit Jugendlichen regelmäßig laufen gegangen, um Geld für andere zu sammeln. Und Erfahrungen.

Die junge Frau in dem Fernsehbeitrag steht vor einem Marktwagen. Sie fragt nach Lebensmitteln ohne Strich-Code. Sie kaufe einzig nicht-industrielle Produkte. Strich-Code-Fasten nennt sie das. Es ist ihre Art des bewussten Ausbrechens aus dem fremdbestimmten Teil ihres Alltags.

Auch ich bin ausgebrochen. Jeden Samstagmorgen der Fastenzeit habe ich die Laufschuhe geschnürt und bin in die Kirche gegangen. Dort wartete Woche für Woche das Team der Jugendkirche „Gleis X“ auf mich. Ich war Teil einer Fasten-Gruppe. „Laufen für etwas Asche“ war unser Motto. Laufen für das eigene Bewusstsein, Laufen in der Gruppe, Laufen für andere, für Aidswaisen in Afrika. Was in der Zeit mit mir passierte? Lesen Sie selbst.

Die Begegnung

Freundliche Gesichter empfangen mich. Ein kurzer Austausch über die sportlichen Erfahrungen macht klar: Profi ist keiner. Die Begegnung mit sich, mit anderen, mit Gott steht im Vordergrund. Professionell begleitet werden wir von Reinhard „Reppi“ Reppmann. Der sehnige, durchtrainierte Coach mit dem sonnengebräunten, immer freundlichen Gesicht öffnet uns das Tor zur Läuferwelt. Und am Eingang wartet das Aufwärm-Programm, unser wöchentliches Fasten-Ritual.

Dann geht es auf die Strecke. Jeder in seinem Tempo. Erste Gespräche sind zu hören. Wir laufen durch den Wissenschaftspark in Ückendorf, vorbei am Marienhospital, vorbei an der Künstlersiedlung Halfmannshof, weiter durch den Rheinelbepark. Der Zubringer zur A40 schlängelt sich neben uns her.„Alles super“ steht auf dem vorbeifahrenden Tankwagen. Wir biegen ab. Nur noch Feld und Natur. Es ist ruhig. Die eigenen Schritte, der eigene Atem sind unser Rhythmus.„Lärm-Fasten“ nennt es Jugendreferentin Stefanie Gruner. „Das ist das Schöne am Laufen“, sagt Reppmann, „man lernt seinen Körper, die Natur und Gleichgesinnte kennen.“

Der Körper

Ist mein Wadenmuskel gewachsen? Ich habe kein Maßband gezückt, aber das Gefühl, dass sich mein Körper durch das Laufen anders anfühlt, ist toll. Nach viel Schreibtischarbeit ist der Sport an der frischen Luft wie eine Oase in der Wüste. „Dein Körper durchlebt eine Sauerstoffdusche“, sagt Reppi. Alte Luft raus, neue Luft rein. Einmal durchgelüftet fühlt sich wohl jeder besser. Trotz zwischenzeitlicher Erschöpfung klagt keiner.

Der Kopf

Meine Woche war dunkel, erfüllt von Trauer. Das Leben gibt, das Leben nimmt. Am Samstagmorgen wusste der Himmel die richtige Antwort. Er war strahlend blau. Die Sonne tankte Wärme auf uns herab, füllte den Glücks-Akku auf. Stille auf der Halde. Ich versuche, meine Gedanken zu konzentrieren, es klappt nicht. Sie fließen einfach. Ich denke an Forrest Gump. Wie er durch Amerika läuft, nur für sich, aufhört, als er keine Lust mehr hat. Ich könnte noch ewig weiterlaufen. Heute schaffe ich eine Extrarunde.

Die Erfahrung

Zwischen sechs und acht Kilometer sind wir jeweils gelaufen, haben die Umgebung aus Läufersicht kennengelernt. Mit pinken Aktions-Shirts sind wir aufgefallen. Auf den Fotos, die unsere Fasten-Reise dokumentieren, sehen wir nur fröhliche Gesichter. Fasten ohne Verzicht, ohne Gram. „Ich habe mir in der Fastenzeit viel vorgenommen“, sagt ein Teilnehmer, „aber nichts davon umgesetzt. Außer jeden Samstag herzukommen.“

Auch ich bin ausgebrochen aus meinem Alltag. Dabei bin ich kein anderer Mensch geworden, aber die Zeit war eine sehr wertvolle.

1700 Euro Spendengeld

Sieben Mal, vom Samstag nach Aschermittwoch bis zum Karsamstag, traf sich die Gleis-X-Gruppe um zehn Uhr morgens an der Liebfrauenkirche in der Neustadt. Immer pünktlich, immer motiviert.

Beim ersten Treffen zählte die Gruppe noch 22 Teilnehmer, am Karsamstag waren es nur noch zwölf. Der Grund: Manche Läufer arbeiteten im Schichtdienst, andere kamen aus Essen, Bochum oder Haltern, liefen ihre Kilometer aber fleißig weiter – allerdings auf anderen Strecken, zu anderen Zeiten. Verloren hat die Aktion somit keinen.

Das Ergebnis kann sich zählen lassen: Rund 1200 gelaufene Kilometer brachten 1700 Euro für die Aktion Canchanabury ein. Die Bochumer Organisation setzt das Geld in Afrika für Projekte zur Unterstützung von Aids-Waisen ein. Als WAZ-Starterin erlief ich 52 Euro für 52 Kilometer. Mein Pensum steigerte sich von sechs auf acht Kilometer pro Lauf. Für diesen Fleiß zahlen die Kollegen nun den Preis. Doch sie tun es gern.