Essen. . Umjubelte Premiere für eine rundum modernisierte „Giselle“ ohne Schauerromantik, aber mit großen tänzerischen Leistungen im Aalto Essen. Das dortige Ballett hat sich für diese aufwendige Produktion mit dem Musiktheater im Revier vereint – die Gelsenkirchener Premiere folgt in der kommenden Saison.

Das arme Bauernmädchen Giselle, die Luft- und Waldgeister in weißen Tütüs, der Prinz und die strenge Ober-Fee Myrtha: Das Ballett, von Adolphe Adam vertont, zählt zu den Gipfeln der Schauer-Romantik. Einer Epoche, in der Zauberwesen und Feen die Tanzbühne bevölkerten und in überirdische Sphären entführten. Von all’ dem bleibt in der neuen Version von David Dawson herzlich wenig übrig. Der britische Choreograph liebt weniger den alten Stil mit seinen magischen Waldszenen mit wunderbar verzögerten Pas-de-deux.

Er setzt auf ein Niemandsland in klinisch kühlem Weiß-Grau und auf moderne Liebes-Abenteuer einer gestressten Party-Jugend im Turbo-Tempo, das selbst die sportlich trainierten Tänzer der Essener Aalto-Oper und des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier kaum zur Ruhe kommen lässt. Umjubelt war zunächst die Premiere im Aalto, die Gelsenkirchener folgt in der nächsten Spielzeit. Sinnvoll und zukunftsweisend erscheint diese Kooperation zwischen zwei Ballett-Ensembles. Denn keines der beiden könnte allein den anspruchsvollen Ballettklassiker mit großen Gruppenszenen auf die Bühne bringen. So verbuchen beide Truppen tänzerisch einen Erfolg.

"Giselle" am Essener Aalto.

Graue Hosen, Poloshirts, Seidenkleider in eleganten Pastellfarben. Schick und cool sind die Freunde von Giselle und Albrecht, der hier kein adliger Traumprinz mehr, sondern ein junger Erfolgs-Typ ist. Er gehört zu einer geheimnisvollen Clique um Barthilde, die sich durch eine Brust-Tätowierung zu erkennen gibt. Doch als sich Albrecht in Giselle verliebt, verbirgt er das verräterische Zeichen. Erst Giselles eifersüchtiger Jugendfreund Hilarion entlarvt ihn, reißt sein Hemd auf und entwendet ihm einen Dolch. In dieser Dreiecksgeschichte ist Giselle irritiert, läuft hin und her. Sie stirbt zwar nicht am gebrochenem Herzen (das ist für Dawson kitschig!), sondern durch Albrechts Dolch, der sie im Eifer des Gefechts eher zufällig trifft. Poetisch wird es nur, wenn blutrote Kirschblüten aus ihrer Wunde tropfen.

David Dawsons
David Dawsons "Giselle" mit Artur Babajanyan (Albrecht) und Anna Kamzhina (Giselle).

Weiße Kirschblüten – vermutlich als Zeichen der Vergebung – regnet es auch am Ende des zweiten Akts, in dem Albrecht in das Totenreich der Willis vordringt. Hier trifft er Giselles Geist noch einmal. Doch trotzt des lyrisch verträumten Adagio-Sounds der Bochumer Symphoniker (unter Yannis Pouspourikas) haben die Totenfeen, die Willis, kaum Zeit für geometrische Formationen. Hektisch rudern sie mit den Armen, sind permanent von Schleiern verhangen, die klassische Allüre kaum zulassen. Weicher und anrührender gelingt der finale Liebes-Pas-de-deux mit seinen über den Boden schleifenden Hebefiguren, die freilich an Eiskunstlauf erinnern.

Tänzerisch und darstellerisch überzeugen Anna Kamzhina und Artur Babajanyan in allen Szenen, wenn ihnen auch die verhetzte Choreographie nur selten Balancen, verlangsamte Sprünge und Pirouetten ermöglicht. Der erste Akt indes verwöhnt Freunde klassischer Tanz-Artistik mit einem brillanten Feuerwerk der Gruppe und Solisten in einem Pas-de-cinq. Atemberaubend das Pirouettenwunder Adeline Pastor, die als Bauern-Braut mehr Technik und Balancen zeigen darf als Giselle. Unter den Männern fällt besonders Wataru Shimizu auf, der trotz mörderischen Tempos virtuose, Doppel- und Dreifach-Sprünge sauber über die Rampe bringt. Bravorufe für alle.

Termine: 6., 8., 10., 12., 23. und 25. April, 29. Mai, 9. Juni. TEL: 0201/8122 200